Interview mit Michael Heise

Chefvolkswirt der Allianz-Gruppe sieht für den Buchhandel gute Chancen in der Krise

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Michael Heise, Leiter der Abteilung Volkswirtschaft und Unternehmensentwicklung der Allianz-Gruppe, hält auf den Buchtagen in Berlin einen Vortrag zu den Perspektiven nach der Krise (Freitag, 19. Juni, gegen 11.30 Uhr). Und der Branche gibt er Grund zur Zuversicht.

Den Handel hat die Krise bisher nicht mit voller Wucht getroffen. Wie sind die Aussichten?
Michael Heise: Uns haben die einigermaßen stabilen Zahlen für den Handel nicht überrascht. Wir haben eine rückläufige Inflation, insbesondere infolge niedriger Energie- und Lebensmittelpreise. Wir verzeichnen zum Teil sogar eine Kaufkraftsteigerung der Konsumenten. Das ist für den Handel ein sehr wichtiger Faktor. Der Effekt wird allerdings im zweiten Halbjahr etwas nachlassen.

Und es kommt steigende Arbeitslosigkeit hinzu.

Heise: Ja, wir gehen im Gesamtverlauf des Jahres 2009 von 500.000 zusätzlichen Arbeitslosen aus. Unser Szenario nimmt nicht den ganz scharfen Einbruch an. Die Kurzarbeit mildert die Entwicklung deutlich. Aber auch die Unternehmen zögern mit dem Jobabbau, was ich begrüße und für klug halte. In der gegenwärtigen Krise ist viel Angst und Vertrauensverlust im Spiel. Das sind vorübergehende Phänomene. Wir rechnen deshalb damit, dass die Konjunktur bald wieder an Fahrt aufnimmt.

Wann ist bald?
Heise: Wir haben jetzt den Boden erreicht. Das gilt für die Realwirtschaft, scheint aber auch auf die Finanzkrise zuzutreffen. Vorsichtige Indikatoren dafür sind die Erwartungen der Unternehmen, die sich bereits wieder aufhellen. Auch unsere weltweite Befragung von Einkaufsmanagern deutet auf Stabilisierungstendenzen hin. In den USA hat die Verschlechterung am Arbeitsmarkt schon an Dynamik verloren. Und die Schockzustände an den Weltmärkten lösen sich allmählich auf; die Exporte vieler Länder haben sich in den Frühjahrsmonaten wieder verbessert.

In Deutschland neigt der Staat derzeit dazu, bedrohte große Unternehmen zu stützen. Trägt auch das zur Erholung bei?
Heise: Diese Hilfen im Einzelfall spielen im Gesamtkontext keine große Rolle. Zusagen an einzelne Unternehmen fallen quantitativ kaum ins Gewicht. Dass der Staat sich bei den Banken wegen der Systemgefahr stark engagiert hat, ist aus meiner Sicht berechtigt gewesen. Auch die aufgelegten Konjunkturprogramme haben eine deutlich belebende Wirkung.

Bundeswirtschaftsminister zu Guttenberg erfreut sich wachsender Beliebtheit in der Bevölkerung, weil er in Sachen Opel und erst recht Karstadt zu staatlicher Abstinenz rät.
Heise: Das ist eine tolle Reaktion der Menschen. Sie zeigt, dass in der Bevölkerung bestimmte Prinzipien der Marktwirtschaft stärker beachtet werden, als Teile der Politik womöglich glauben. Die Probleme des Handelskonzerns Arcandor reichen im Übrigen schon eine ganze Zeit zurück. Sie haben nicht viel mit der Finanzkrise zu tun. Und sie stellen auch keine systemische Bedrohung dar.

Zur Buchbranche konkret: Ist die hier waltende Hoffnung, dass gerade in Krisenzeiten tüchtig gelesen wird, berechtigt?
Heise: Ich glaube ja. Aus allgemeinen Umfragen wissen wir, dass in solchen rezessiven Phasen bestimmte Produktkategorien ihren Anteil am Warenkorb erhöhen können. Medien und das Lesen kommen da immer an oberster Stelle mit vor. Insofern könnte es in der Tat für die Buchbranche auch einen positiven Effekt der Krise geben – der zunehmende Bedarf an erbaulicher Lektüre.

Was kommt, wenn die Krise geht?
Heise: Die mittlere Sicht ist immer eine wichtige Perspektive in der Ökonomie. Gegenwärtig greifen die Maßnahmen der Regierungen und der Notenbanken. Sie sind auch sinnvoll. Aber niedrige Zinsen und eine Nachfragepolitik haben Nebenwirkungen, die man sich nicht wünscht. Mittelfristig wird es unsere Hauptaufgabe sein, die öffentlichen Finanzen zu konsolidieren. Das wird uns in Deutschland für lange Zeit belasten und das Wachstumstempo dämpfen, was wiederum die Konsolidierung schwieriger macht. Kurz gesagt: Wir können zunächst mit einer kräftigen Belebung rechnen. Aber dann müssen wir uns auf eine längere Phase des Sparens gefasst machen.


Zur Person:
Dr. Michael Heise ist Leiter der Abteilung Volkswirtschaft und Unternehmensentwicklung der Allianz-Gruppe sowie Honorarprofessor für Volkswirtschaft an der Goethe-Universität Frankfurt.