Interview

»Wachstumsfeld Weiterbildung«

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Mit der zweiten Unternehmensanleihe in der Konzerngeschichte will die Klett-Gruppe neue Geschäftsfelder ausbauen – vor allem die Erwachsenen- und Weiterbildung. Philipp Haußmann, Vorstandssprecher der Klett AG, sprach mit boersenblatt.net über Ausbaupotenziale und die Grenzen des Geschäfts.

Wo sehen Sie noch Wachstumschancen für Ihr Unternehmen?

Haußmann: Ein wichtiges Wachstumsfeld sind die Fernschulen und Fernhochschulen. Auch der Ausbau der Privatschulen geht weiter. Demnächst wird eine Schule in Ingolstadt eröffnet und eine weitere in Friedrichshafen. Lohnend ist immer noch der Sprung ins Ausland. Unsere Sprachenverlage im europäischen Ausland bauen wir schrittweise zu kompletten Schulbuchverlagen aus – etwa in Serbien und Slowenien. Das sind vergleichsweise kleine, aber durchaus lukrative Märkte. Unsere neue Anleihe soll genau dazu dienen, all diese Wachstumschancen wahrzunehmen. Insgesamt wachsen die Bäume nicht in den Himmel, weil wir uns im Verdrängungswettbewerb befinden.

Mit dem Wechsel an der Vorstandsspitze geht die Interimsphase, in der Michael Klett die operative Verantwortung für die Ernst Klett AG innehatte, zu Ende. Kommt Klett nun in ruhigeres Fahrwasser?

Haußmann: Wir bewegen uns seit bald zwei Jahren in ruhigem Fahrwasser, seitdem wir nämlich im Unternehmen für eine klare Spartenorganisation gesorgt haben. Bisher waren die Vorstände nicht in den Geschäften selbst vertreten, jetzt ist für jeden Geschäftbereich ein Vorstandsmitglied unmittelbar verantwortlich – so Manfred Antoni für die Erwachsenen- und Weiterbildung, Thomas Baumann für das Schulbuch und ich selbst für die sonstigen Bildungs- und Informationsverlage.

Mussten Sie bei der Restrukturierung der Klett Gruppe auch Stellen abbauen?

Haußmann: In der Summe ist die Zahl der Arbeitsplätze bei Klett Jahr für Jahr gestiegen, zuletzt von 2007 auf 2008 um 171 Mitarbeiter auf insgesamt 2.879.

Die jetzt gefundene Familienlösung hat sicher Vorteile. Worin liegen Ihrer Meinung nach die besonderen Stärken eines familiengeführten Unternehmens?

Haußmann:
Wir können es uns leisten, langfristig zu denken und müssen nicht die hohen Renditeerwartungen erfüllen, die börsennotierte Unternehmen oder Verlagsgruppen in Private-Equity-Hand haben. Bei Klett zählen klassische Verlegertugenden: Geduld, Nachhaltigkeit und der urverlegerische Impetus, mit guten Inhalten und Produkten Geld zu verdienen.

In den vergangenen Jahren haben Sie die Grenzen des angestammten Geschäfts überschritten und neue Geschäftsfelder erschlossen – nicht immer ohne Kollateralschäden. Wo liegen eindeutige Grenzen für eine Erweiterung Ihres Portfolios?

Haußmann:
Alles, was wir machen, hat mit Bildung zu tun – wobei wir einen weitgefassten Bildungsbegriff zugrunde legen. Im Grunde handelt es sich um die klassisch-aufklärerische Haltung: alles das zu befördern, was die Bildung, Zivilisierung und kulturelle Entfaltung des Menschen voranbringt. Was sich in den vergangenen 20 Jahren grundlegend bei uns geändert hat, ist unser Selbstverständnis als Unternehmen. Damals waren wir “nur” ein Verlag, heute sind wir auch ein Dienstleistungsunternehmen, in dem andere Geschäftsmodelle neben dem klassischen Verlegergeschäft existieren. Wir engagieren uns heute auf Feldern, auf denen wir uns nicht mehr immer allein auf die ureigene, verlegerische Kernkompetenz verlassen können. Da steigt das Risiko, auch einmal Fehler zu machen. Deshalb arbeiten wir in anderen Bereichen, etwa bei den Fernschulen oder Privatschulen, mit erfahrenen Partnern zusammen.

Wo hat das Früchte getragen, wo nicht?

Haußmann: Sehr erfolgreich sind wir beispielsweise mit unseren Loseblatt-Werken aus dem Raabe Verlag – darunter sind Materialien zur Unterrichtsvorbereitung, Fotokopiervorlagen und weiteres mehr, was sich sehr gut verkauft. Zu Beginn war es ein uns fremdes Geschäftsmodell, Loseblatt-Werke im Direktmarketing zu vertreiben. Heute ist Raabe eine echte Perle im Unternehmen. Mit Klett College haben wir die gegenteilige Erfahrung gemacht: Nach drei Anläufen im institutionellen Nachhilfemarkt werden wir keinen vierten mehr unternehmen.

Setzen Sie künftig auf organisches Wachstum – oder gibt es noch Bereiche, in denen Sie sich Akquisitionen vorstellen können?

Haußmann:
Organisches Wachstum war und ist bei uns immer wichtiger gewesen als bei unserer direkten Konkurrenz. Damit sind wir gut gefahren. Wir sind gleichwohl immer offen für Zukäufe und Partnerschaften, wenn sie uns denn auf unserem Weg zu einem immer besseren Bildungsunternehmen weiterbringen. Nur um den Umsatz zu steigern, kaufen wir nichts dazu.

Welches Potenzial sehen Sie noch im hart umkämpften Stammgeschäft Schulbuch?

Haußmann: Da muss man eindeutig sagen: Das Marktwachstum ist vorbei. Der Markt bricht zwar nicht zusammen, aber wir haben es mit einem immer härteren Verdrängungswettbewerb zu tun. Wachstum ist nur durch höhere Marktanteile möglich. In diesem Sinne haben wir in einigen Teilmärkten derzeit erfreuliche Erfolge. Selbst für die ferne Zukunft sehen wir nicht, dass wir im klassischen Schulbuchmarkt ernsthaft gefährdet sind. Auch dass digitale Lehrwerke in absehbarer Zeit das gedruckte Schulbuch verdrängen können, klingt zwar von außen betrachtet plausibel – in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist es aber auf lange Sicht nicht zu erwarten. Schulbücher werden weiter verkauft. Allenfalls wird der Staat seine Mittel für Lehr- und Lernmittel weiter kürzen.

Hängt die weitere Entwicklung auch vom Reformwillen der Politik ab?

Haußmann: Im Moment haben die Reformbemühungen der Politik keinen Einfluss auf die Zahl der verkauften Schulbücher. Leider haben wir es in den Bundesländern nicht immer mit einem konsistenten, verlässlichen Handeln von Politik und Kultusverwaltung zu tun. Dieses Verhalten erhöht bei den Verlagen die Kosten erheblich. Immerhin können wir aber heute auf curriculare Änderungen schneller reagieren als noch vor zehn bis 15 Jahren. Unser Schulbuchverlag ist heute sehr effizient und schlagkräftig.

Was könnte den Schulbuchverlagen helfen?

Haußmann: Dass der Staat mehr Geld für Lehr- und Lernmittel zur Verfügung stellt. Weniger als durchschnittlich 50 Euro pro Schüler und Jahr sind zu wenig, wenn man Bildung als Zukunftsthema des Landes begreift. Von einer Verbesserung der Lern- und Lehrmittelausstattung würden bei weitem nicht nur die Schulbuchverlage profitieren, sondern auch die Schülerinnen und Schüler und damit letztlich die ganze Gesellschaft.

Glauben Sie, dass künftig im Unterricht mehr interaktive Tafeln (Whiteboards) und Onlinemedien eingesetzt werden?

Haußmann: Die Zahl der Whiteboards in deutschen Klassenzimmern ist noch sehr überschaubar. Wenn diese Tafeln flächendeckend eingeführt würden, könnten wir sehr schnell dafür entsprechende Unterrichtsmaterialien herstellen. Schon jetzt entwickeln wir für alle neuen Lehrwerksfamilien systematisch Komponenten für das Whiteboard, besonders gut angenommen wurden die entsprechenden Produkte für die Fächer Geographie und Geschichte.

Nach der Übernahme von B. I. durch Cornelsen haben Sie es bei der Berliner Verlagsgruppe mit einem breit aufgestellten Mitbewerber zu tun. Macht Ihnen das Sorge?

Haußmann:
Nein, gar nicht. Wir haben es jetzt mit einer sehr klaren Positionierung im Markt zu tun. Das schärft den eigenen Blick. Mit dem Verkauf von B. I. und also Duden hat sich die Langenscheidt Gruppe vom Schulbuchmarkt verabschiedet. Auf lange Sicht werden wir es nun mit einem Dreikampf im Markt zu tun haben.

Welche Rolle spielen neue Medien in der Unternehmensentwicklung?


Haußmann:
Wenn die Kunden – zunächst die Lehrer und dann die Schüler – nach und nach mehr digitale Formate verlangen, dann stellen wir sie ihnen zur Verfügung. Inzwischen bieten wir die meisten Unterrichtswerke ohnehin als Hybridprojekt mit beigefügter CD-ROM im Arbeitsbuch an. Innovationsführer sind wir vor allem bei den digitalen Sprachmedien – ganz aktuell mit unserer Plattform Pons.eu. Das gedruckte Wörterbuch wird an Bedeutung verlieren, weil die Menschen heute Wörter und Begriffe im Internet nachschlagen wollen.

Sind Sie mit Pons.eu zufrieden?


Haußmann:
Inzwischen registrieren wir täglich eine Million Wortabfragen. Der Abstand zu Open-Source-Wörterbuchplattformen wie Leo.org verringert sich allmählich. Die Anzeigen, die Sie auf der Website sehen, sind alle bezahlt, und der Traffic steigt ständig.

 

Lesen Sie zum Thema Schulbuch auch den Artikel im aktuellen Börsenblatt 24 / 2009 ab Seite 16!