Soll es darum gehen, die Umsätze des Buchhandels, Zwischenbuchhandels und der Verlage durch Lese(r)studien zu erhöhen? Soll es darum gehen, zu diesem Zweck die Gewohnheiten, Vorlieben und wohl auch die Bedürfnisse der Leser oder besser gesagt Verbraucher und eben auch Kunden bis ins Kleinste empirisch verlässlich und repräsentativ zu messen?
Zahlen, Daten, Fakten – Material gibt es viel Diesen Eindruck gewann ich jedenfalls bei der Vorbereitung auf meine Zwischenprüfung im Februar 2009. Sie liegt nun einige Zeit zurück und ist auch mehr als gut gelaufen, keine Frage. Eines der drei von mir selbst gewählten Themen damals lautete „moderne empirische Lese(r)forschung“. Der Soziologe – mein zweites Studienfach neben der Buchwissenschaft – in mir dachte sich: wunderbar, der Schnittpunkt deiner beiden Fächer, da kannst Du aus dem Vollen schöpfen. Was dann letztlich auch so war, nach Aussage der Prüfer hätte ich das Thema nicht besser vorbereiten können. Doch genug der Lobhudelei.
In einer Prüfung gut abzuschneiden ist das eine, hinter dem Gesagten zu stehen, offenbar etwas völlig anderes. Das wurde mir nicht erst beim Kopieren der Literatur für die Prüfung klar. Endlose Tabellen, Statistiken, Typologien, Thesen und Argumente. Doch was fällt auf? Im Datendschungel geht es wie gesagt selten um den Probanden, also den Leser selbst, sondern vielmehr um seine Gewohnheiten, Vorlieben und Bedürfnisse. An dieser Stelle könnte man ja noch glauben, dass die Wirtschaft und die die Forschung forcierenden Unternehmen wenigstens auch ein bisschen am Menschen an sich interessiert wären. Doch sind sie das wirklich?
Quantitative Umfragen messen breit – aber nicht immer repräsentativIn einer quantitativen Befragung mittels standardisiertem Fragebogen, die vielleicht auch noch telefonisch durchgeführt wird, sicher nicht. Mal ganz abgesehen davon, dass nicht jeder Leser und auch jeder Nichtleser ein Telefon besitzt, womit die Daten ohnehin nicht repräsentativ sind. Auf diese grob fahrlässige Weise wurden in Amerika schon Präsidenten in
Umfragen sicher ins Weiße Haus gewählt, die später haushoch die Wahl verloren haben. Aber man hat ja seine Fallzahl, die im massenmedialen Zeitalter schön hoch ist – sofern nicht alle nach dem altbekannten Satz „Dürfte ich Ihnen wohl ein paar Fragen zu Ihrem Leseverhalten stellen?“ auflegen.
Wäre es nicht viel interessanter, die Menschen einmal wirklich zu Wort kommen zu lassen? Sie mittels eines Interviews, das durch einen Leitfaden den Forschungsgegenstand nicht aus den Augen verliert, aber eben durch nur wenige vorformulierte Fragen dem Leser und seinen Bedürfnissen Raum gibt, zu befragen? Freilich bekommt man durch ein solches qualitativ angelegtes und recht aufwendiges weil vor allem in der Auswertung zeitintensives Verfahren keinen besonders großen und vor allem keinen statistisch belastbaren Datensatz generiert. Die Frage ist, ob man das überhaupt will. Ich würde es nicht wollen. Doch bin ich Student der Buchwissenschaft und der Soziologie, universitär verbildet und habe in meinem wissenschaftlichen Elfenbeinturm von Absatzmärkten, Verkaufszahlen und Forschungspragmatismus ja sowieso keine Ahnung. Das mag sein, aber wer wissen will, was die Menschen bewegt, muss ihnen sprichwörtlich aufs Maul schauen, so jedenfalls mein Credo.
Die Leser – Bäume, die den „Forschungswald“ überhaupt erst entstehen lassen Die andere Seite der Medaille muss man sich selbstverständlich auch betrachten, ich will ja nicht als einseitig und verzerrend verschrien werden. Bisher ging es um den Sinn und Nutzen der empirischen Lese(r)forschung, also meiner Ansicht nach die wirtschaftliche Seite des Ganzen. Doch was ist mit dem – und hier ausdrücklich auch potentiellen – Leser? Wer nach Lesegewohnheiten fragt, sollte sich auch Gedanken darüber machen, wie man Menschen überhaupt zum Lesen bringen kann. An dieser Stelle seien Initiativen wie die
"Stiftung Lesen" oder
"Abenteuer Buch" aus meiner direkten Umgebung erwähnt. Das Erlanger Projekt versucht bewusst, Lesekarrieren zu fördern, ja überhaupt erst in Gang zu bringen, indem es mit Kindergärten zusammenarbeitet, also sprichwörtliche Basisarbeit leistet. An dieser Stelle könnte aber im Zeitalter von Internet und Multimedia wohl noch wesentlich mehr passieren. Mal sehen, was die nächsten Jahre bringen werden.
Jedenfalls steht für mich fest, dass man wohl auch für einen gewissen Kundennachwuchs sorgen sollte, anstatt immer nur den Status quo zu erheben. Denn wenn es keinen Lesenachwuchs gibt, läuft auch die Buchmarktforschung irgendwann ins Leere bzw. wird schlicht überflüssig. Dann füllt auch niemand mehr in nur fünf Minuten schnell mal einen Fragebogen aus, weil er eben zum Thema so gar nichts zu sagen hat. Nun stehen wir also am Scheideweg zwischen wirtschaftlichem Profit und humanistischem Gutmenschpathos. Wohin geht die Reise? Vielleicht sollte man einfach die Menschen fragen, denn um sie geht es – mir zumindest.