Zukunftswerkstatt Buchhandel heißt Ihr Workshop – wie sehen Sie die Zukunft
für Buchhändler?
Queißer: Da hilft ein nüchterner Blick in die Zahlen: Der Buchhandel besetzt in Deutschland eine Million Quadratmeter Verkaufsfläche, er hat 35.000 Beschäftigte, er hat im vergangenen Jahr neun Milliarden Euro Umsatz gemacht – das ist nicht wenig. Aber wenn wir uns die Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre betrachten, dann verzeichnen insbesondere die 1600 mittelständischen, kleineren Buchhandlungen seit 1998 keine großen Umsatzzuwächse mehr, der Trend geht oft abwärts.
Wo sehen Sie die Gründe?
Queißer: Lesen steht bei den Leuten nicht mehr an erster Stelle, es kommt hinter Surfen im Internet, Chatten usw. Im Workshop möchte ich den Zuhörern die unterschiedlichen Lesetypen in Deutschland bis hin zu den
Leseabstinenten vorstellen. Es gilt, sich in die Gedankenwelt und Nutzungsgewohnheiten insbesondere der Jüngeren hineinzuversetzen. Ich war erst letzte Woche in einer Klasse, deren Schüler dem berühmten Jahrgang 1995 angehören, also die Generation, die mit Handy, Computer, Internet etc. aufgewachsen ist. Die haben einen anderen Zugang zum Buch, aber sie sind ja nicht völlig desinteressiert.
Welche Möglichkeiten sehen Sie denn, die Leute überhaupt in Buchhandlungen
zu bekommen?
Queißer: Das Angebot im Buchladen muss klar strukturiert sein, das Motto »Alles für alle« hat ausgedient. Die Insolvenz von Karstadt ist ein gutes Beispiel, dass ein Warenangebot, das Jahrzehnte nach diesem Grundsatz
funktioniert hat, heute nicht mehr klappt. Genauso ist auch die einstige Faszination des Kaufhausbuchhandels gebrochen; die Zuwächse werden doch vor allem durch die Flächenausdehnung erzielt. Umgekehrt erreichen kleine Buchhandlungen schwarze Zahlen oft auch nur durch permanente Selbstausbeutung.
Aber wo liegen dann die Chancen?
Queißer: Gut funktionieren Einkaufszentren und Shopping-Malls, also das Umfeld der Buchhandlung muss stimmen. Und H & M funktioniert, auch weil dort alle 14 Tage neue Ware reinkommt, da lohnt es sich aus Kundensicht immer, mal reinzugucken. Das heißt, der Buchhandel muss seine Waren einfach besser und abwechslungsreicher inszenieren. Das gilt nicht nur für die einzelne Buchhandlung, sondern auch für den Auftritt der Branche insgesamt: Die Konzentration auf die Leipziger Buchmesse im Frühjahr und die Frankfurter Buchmesse im Herbst reicht nicht, eigentlich muss im Bewusstsein der Öffentlichkeit jeden Monat etwas Neues aufploppen.
Sprengt eine 14-tägig wechselnde Waren-Inszenierung vom Schaufenster
bis in den Laden hinein nicht die Möglichkeiten kleinerer Buchhandlungen?
Queißer: Sicher ist das für kleinere Buchhandlungen schwer zu stemmen, aber sie müssen einfach Neues bieten. Und sie müssen lernen, in Kooperationen zu denken, etwa in Einkaufsgenossenschaften. Oder warum sollten sie nicht die Aktion eines 100 km entfernten Buchhändlers übernehmen? Und dann stelle ich im Gegenzug bei ihm neue Jugendbücher vor. Auch eine tolle Dekoration kann doch von mehreren Läden genutzt werden, wenn sie weit genug auseinander liegen, da gibt es noch ordentlich Einsparpotenzial. Statt dessen aus Kostengründen nur minimalistisch zu dekorieren, das wird von Kunden immer weniger honoriert.
Haben kleinere Buchhandlungen denn auch Vorteile gegenüber den Filialisten?
Queißer: Allemal. Das große Plus der Kleinen ist, dass sie ihr eigenes Lesevergnügen dem Kunden spürbar und überzeugend vermitteln. Da fühlt sich der Kunde unmittelbar angesprochen. Vor Ort gut vernetzte Buchhandlungen können auch leichter mit anderen Einzelhändlern kooperieren. Warum nicht mit dem Optiker zusammenarbeiten unter dem Motto »Siehst du richtig? Liest du richtig?« oder so ähnlich. Und mit ihrer oft sehr intensiven Kundenkenntnis haben sie auch einen gewaltigen Vorteil, der häufig zu wenig genutzt wird.
Der altmodische, persönliche Kundenbrief liegt übrigens gerade wieder im Trend, da bemerken wir im Moment eine unglaubliche Resonanz.
Buchtage Berlin
23. Juli 2015
Auf den Buchtagen Berlin bietet der Lebacher Buchhändler Manfred Queißer eine Zukunftswerkstatt für Buchhändler an. boersenblatt.net sprach mit ihm über Probleme und Chancen mittelständischer Sortimente.