Ich begrüße Sie sehr herzlich zu den Buchtagen Berlin 2009. Die Branche der Zukunft, so sind die diesjährigen Buchtage überschreiben. Und im Untertitel heißt es: Neue Bücher, neue Wege, neue Jobs.
Fünf verschiedene Meldungen der vergangenen Tage möchte ich Ihnen zur Eröffnung wiedergeben, sozusagen aus dem Stimmungsvorfeld des Jahrestreffens der Verleger und Buchhändler – sie alle haben einen gemeinsamen Nenner:
Arnold Schwarzenegger will Lehrbücher an den Schulen in Kalifornien abschaffen und durch elektronische Lesegeräte ersetzen. Herkömmliche Schulbücher seien „veraltet, schwer und teuer“. Sein Bundesland sei „Weltmarktführer in Technologie und Innovation“, deshalb müsse es bei der Einführung von E-Büchern vorangehen. Schwarzenegger begründete die Initiative auch mit den Sparzwängen seines Bundeslandes, das derzeit in einer akuten Haushaltsnotlage steckt. Ein Lehrbuch koste den Staat durchschnittlich rund hundert Dollar. Am vergangenen Mittwoch druckte die FAZ diese Meldung von afp.
Die Buchhandlung Hugendubel meldet, dass etwa 180 Stellen bei Hugendubel und Habel abgebaut werden müssen.
Das Landgericht in Frankfurt am Main verkündet in Sachen Ulmer Verlag gegen die Universitätsbibliothek Darmstadt, dass die Bibliothek ein Lehrbuch des Verlags (Ladenpreis: 22 Euro) seinen Nutzern an den elektronischen Leseplätzen zum Lesen, nicht aber zur digitalen Vervielfältigung zur Verfügung stellen dürfe.
Die ARD-Tagesschau berichtet nach dem Sonntag der Europawahl vom Einzug eines Abgeordneten der schwedischen Piratenpartei in das Europäische Parlament. Mit einem Wahlergebnis in Schweden von 7,1%. Wir erinnern uns an The Pirate Bay, an das Verzeichnis von Daten, das weltweit viele Menschen auf ihren Rechnern gespeichert haben, Wegbeschreibungen, mit deren Hilfe der Nutzer spezielle Computerprogramme finden kann, die ihm illegal kopierte Musik, Filme und Bücher verschaffen.
The Pirate Bay, am 17. April in Stockholm zu Gefängnis seines Verantwortlichen verurteilt und zu einer Geldstrafe von drei Millionen Schwedischer Kronen. Antwort von The Pirate Bay, auf die Frage, wie Autoren denn ohne Recht auf geistiges Eigentum Geld verdienen können: Es sei noch nie leicht gewesen, Künstler zu sein – ein Zynismus, der kaum zu überbieten ist und als dessen Resultat wir nur die kulturelle Vermüllung erwarten können, The Pirate Bay, auch politische Partei, warb für die Europawahl in Deutschland mit Plakaten, die als Hauptziel „Transparenz“ reklamierten.
Und die Marktforschung des Börsenvereins meldet die aktuellen Branchendaten für Januar - Mai 2009:
der Barumsatz in Sortiment, Warenhäusern und E-Commerce ist im Vergleich zum Vorjahr um 1,4% gestiegen.
Soweit fünf nur scheinbar disparate Meldungen der letzten Tage zur Buchwelt. Jede spricht für sich. Aber sie haben einen gemeinsamen Nenner. Und der ist offensichtlicher und einfacher zu beschreiben, als gedacht:
Seitdem vor etwa einem Jahr die Ankündigungswelle der neuen E-Books zu rollen begann und das Thema des digitalen Formats für Bücher Einzug hielt in die Feuilletons, wurde das, was für die wissenschaftliche Science-and-Media-Welt seit Jahren schon Tagesgeschäft war, zum Publikumsthema. Doch mit der breiten öffentlichen Diskussion des digitalen Buchformats standen plötzlich die grundsätzlichen urheberrechtlichen Fragen von freier Zugänglichkeit, von geistigem Eigentum, von Open Access, von Downloads, von allen urheberrechtlichen Schranken zur Diskussion. Die Frage, ob die zum menschlichen Leben gehörende Freiheit zum Austausch von Meinungen sich überhaupt in einer Kultur der Schriftlichkeit und des Buches in kulturellen Rechten manifestieren sollte, nahm erheblich an Schärfe zu. Was für uns noch zum Selbstverständlichen der Berufsausübung gehörte, dass zum Menschenrecht und zum Grundrecht auf freie Meinungsäußerung das kulturelle Recht trete, das die Authentizität des kulturellen Produkts – paradigmatisch am wissenschaftlichen und literarischen Text greifbar – mit der freien Zugänglichkeit für alle verbindet, wurde von den verschiedensten Seiten in Frage gestellt – von Wissenschaftlern und Universitäten, von Bibliothekaren oder von Piraten.
Im Medium des Buches, das das geistige Eigentum seines Urhebers dauerhaft bewahrt, so hatten wir geglaubt, und in der Form des Verlegens, das dieses Gut auf dem Wege der Produktion und Distribution durch den Markt jedermann zugänglich macht, habe dieser Prozess die für die neuzeitliche Kultur maßgebliche Gestalt gefunden. Und jetzt?
Einer neuen Generation, so versichern wir uns gegenseitig Verständnis, ist der Begriff des geistigen Eigentums fremd. Deshalb bräuchten wir ein neues Geschäftsmodell jenseits des geistigen Eigentums.
Welch ein Unfug! Wir brauchen die fünf Nachrichten der vergangenen Wochen nur genau zu lesen, um zu merken, dass hinter dem Anspruch einer neuen Informationswelt ohne Schranken noch nicht einmal falsche Ideologie steckt, sondern allein der simple und oftmals kriminelle Sinn fürs Geschäft – egal, ob bei der Vermittlung illegaler Downloads oder beim Scannen ganzer Buchbestände - , und auf der anderen Seite
haushälterischer Eigennutz und Unsicherheit im beruflichen Selbstverständnis mancher Bibliothek und der Tunnelblick mancher Forschung.
Wir werden uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, dagegen zu wehren wissen. Aber das falsche Leben in einer vermeintlich kulturrechtsfreien Welt ohne geistiges Eigentum ist kein Thema für juristische Auseinandersetzungen, es kann auch nur hilfsweise durch ergänzende Geschäftsmodelle beantwortet werden, weil es nicht wettbewerbsfähig ist.
Die augenblicklich diffuse Bewußtseinslage in der digitalen Bücherwelt ist vielmehr eine primäre Aufgabe politischer Gestaltung. Den gesellschaftlich wichtigen Problembereich über Monate trotz zahlloser Gespräche, Stellungnahmen und Bitten des Börsenvereins im Justizministerium dahindümpeln und mehr und mehr wachsen zu lassen, ist unverantwortlich. Und dass erst der öffentliche Druck eines Autorenprotests, der Heidelberger Appell, zumindest erste Lippenbekenntnisse bewirkt, weckt noch kein Vertrauen.
Wie heißt noch das Motto der diesjährigen Buchtage:
Die Branche der Zukunft. Neue Bücher, neue Wege, neue Jobs. Wie also gehen wir mit den genannten Nachrichten vom Buch um. Darüber wollen wir in den beiden kommenden Tagen sprechen.
Bücher können die Welt verändern. Sie sind unverzichtbar für die Entwicklung unserer Gesellschaft und deren Ideale, sie bilden und informieren. Bücher sind heute Fundament für die Zukunft der Menschen und morgen deren Gedächtnis. Unabhängig davon, ob digital oder gedruckt – Bücher sind ein Leitmedium.
Erkennen Sie die Formulierung? Gilt er noch, der erste Satz aus dem Leitbild des Börsenvereins?
Meine Damen und Herren,
Ich begrüße Bundespräsident Richard von Weizsäcker, den wir heute als geistig unabhängige Persönlichkeit mit der Auszeichnung „Dem Förderer des Buches“ ehren wollen. Nicht nur als Zeitzeuge des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels hat er sich die Sache des Buches in persönlicher Weise zu eigen gemacht. Lieber Herr von Weizsäcker, heute haben wir mit Ihrem Besuch die Ehre des Ehrenden.
Ich freue mich sehr, Ihnen, meine Damen und Herren, an dieser Stelle den Friedenspreisträger des Jahres 2009 bekannt geben zu können. In wenigen Minuten wird gemeldet werden, dass der Stiftungsrat des Friedenspreises auf seinen Frühjahrssitzungen den italienischen Literaturwissenschaftler, Essayisten und Romanschriftsteller Prof. Dr. Claudio Magris zum diesjährigen Friedenspreisträger gewählt hat.
Mit vielen Büchern tritt Claudio Magris für ein Europa ein, das nicht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten sein Selbstverständnis hat, sondern seine geschichtliche und kulturelle Tradition bedenkt. Wie kaum ein anderer hat sich Magris mit dem Zusammenleben und Zusammenwirken verschiedener Kulturen beschäftigt, und von der Vielfalt der Systeme und Sprachen Mitteleuropas, von seinen Eigentümlich-keiten und Gegensätzen erzählt und berichtet. Verliehen wird der Friedenspreis in der Frankfurter Paulskirche am Sonntag, dem 18. Oktober.
Ich begrüße Herrn Staatsminister Neumann, den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, dem wir uns vor allem in schwierigen Zeiten besonders verbunden fühlen, denn er spricht in der Regierung unsere Sprache. Ich freue mich sehr, dass er anschließend aus kulturpolitischer Sicht einen Blick in die Zukunft der Verlage und Buchhandlungen wirft und seine Gedanken auf die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung richten wird.
Ich begrüße Professor Dr. Urs Gasser, den Direktor des Berkman Center for Internet & Society an der Universität Harvard, Verfasser von Generation Internet. Er weiß, auf welche Kunden sich der Buchhandel in den kommenden Jahren einstellen sollte und was das für Verleger und Buchhändler bedeutet. Ich freue mich auf seinen Vortrag Die Branche der Zukunft. Chancen der Digitalisierung.