Buchtage Berlin 2009

"Wir waren keine Nerds"

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
"Digital ist besser" - diese These versuchte Tim Renner, Geschäftsführender Gesellschafter von Motor Entertainment, in seinem Vortrag auf den Buchtagen dem Branchenpublikum plausibel zu machen. "Ohne Powerpoint, weil das vom Zuhören ablenkt", so Renner.

Dem Vater von Tim Renner waren noch Bücher heilig, ihm selbst Schallplatten - weshalb er später Chef von Universal Music wurde. Heute, im iPod-Zeitalter, wird er von seiner Tochter gefragt, in welchen Müll die überspielten CDs gehören.

Die Entfernung vom ursprünglichen Medium Buch (oder Schallplatte) habe aber schon sehr viel früher begonnen, als uns heute bewusst ist, so Renner. Und das Internet kam nicht über Nacht, sondern wurde als Entwicklung verschlafen: "Wir haben nicht das Leben unserer Konsumenten gelebt, wir waren keine Nerds."

Mit dem Internet sei der Wunsch nach indivueller Nutzung, verbunden mit den neuen technischen Möglichkeiten, aufgekommen - der Wunsch, frei über Inhalte zu verfügen. "Wir haben uns falsch fokussiert, indem wir die Freiheit unserer Kunden eingeschränkt haben - durch Kopierschutz", sagt Renner. Um im Wettbewerb zu bestehen, müsse man so gut sein wie die Konkurrenz - auch die illegale.

Auf die Buchindustrie könnte die gleiche Entwicklung wie auf die Musikindustrie zukommen, wenn es ein "sexy Endgerät" gibt, eine entsprechende Breitbandversorgung (heute fast erreicht) und leistungsfähige Kompressionstechnologien (bald erreicht).

Die Ablehnung gegenüber elektronischen Medien sei nicht nachvollziehbar - auch wenn Amelie Fried behauptet: "Wenn ich aus dem Urlaub zurückkomme, rieselt noch der Sand aus meinem Buch".

Renner: "Ich will mögliche Lösungen zeigen. Erlauben Sie, im Netz mit Inhalten so umzugehen, wie der Kunde will, bieten Sie beispielsweise nur ein Kapitel an." Die Buchbranche sollte sich breit aufstellen, kooperieren und besser sein als Google, das sich im Augenblick, so Renner, "die Inhalte zusammenklaut".

Kritik übt Renner an der Preisbindung. Diese könne im globalen Kontext "zum Eigentor" werden. Renner empfiehlt - auch an die Adresse der Politik - keine "Verbotskultur" zu schaffen. Das französische Internetgesetz sei der falsche Ansatz, weil es Freiheitsrechte beschneide, und sei deshalb auch vom Verfassungsrat gekippt worden.

Der Buchhandel sollte aber nicht ins andere Extrem verfallen und sein physisches Angebot vernachlässigen. "Das wäre ein schwerer Fehler". Gedruckte Bücher würden gebraucht und sollten schöner denn je gemacht werden.