Künftig will der von Edel als freier Berater engagierte „Kulturkaufhaus“-Vordenker weitere Buchhandlungen beim Aufbau von Medien-Abteilungen beraten und Personal coachen. Nils Kahlefendt sprach mit Schulte-Loh.
Was macht sie so optimistisch, dass aus Buchhändlern auch Plattenhändler werden können?
Hartwig Schulte-Loh: Die Kulturen von Tonträger- und Buchhandel sind sicher sehr unterschiedlich. Aber gerade im Buchhandel hat sich in den letzten Jahren doch einiges verändert: Wir haben eine neue Generation von Sortimentern, die in Fragen von Entertainment und Marketing ganz anders sozialisiert und auch ausgebildet worden sind – deren Horizont geht zwangsläufig weit über das Buch hinaus. Wenn Buchhändler heute nach Möglichkeiten suchen, ihre Flächen optimal zu nutzen, geht das oft weit über das berühmte „Nebensortiment“ hinaus. Man denkt grundlegend über einen neuen Medien-Mix nach. So entstehende Medien-Häuser sind aus meiner Sicht nicht nur kulturell eine wünschenswerte Entwicklung – sondern auch eine wirtschaftlich zwangsläufige. Allerdings: Bis der Buch-/Medienhandel als vom Kunden ganz selbstverständlich wahrgenommene Verkaufsform für Musik wahrgenommen wird, werden wohl noch ein paar Jahre ins Land gehen...
Auf welche Zielgruppen, welche Genres sollte man sich heute konzentrieren?
Schulte-Loh: Nach GfK-Untersuchungen haben sich Klassik und Jazz als „buchaffinste“ Genres herausgestellt, während der Rock/Pop-Bereich nur eine marginale Rolle spielt. Das deckt sich auch mit unseren Tests bei Heymann: Das Sortiment, mit dem Edel etwa Media Markt/Saturn beliefert, hat dort nicht funktioniert. Das hat nicht zuletzt mit der Alterstruktur der Käufer zu tun: 70 Prozent der Klassik-Kunden sind älter als 50. Während junge Musikkäufer ins Internet abwandern, sind 94 Prozent der Verkäufe im Klassik/Jazz-Bereich physisch – damit ist dieser relativ kleine Markt so stabil wie noch 2004.
Ist die Konzentration auf die Silver Generation nicht etwas zu schematisch gedacht, wenn man sich etwa anschaut, wie thematisch breit schon die Feuilletons großer Tages- und Wochenzeitungen über Musik berichten? Die stehen ja nicht gerade im Verdacht, Jugendzeitschriften zu sein?
Schulte-Loh: Man muss natürlich sehr genau schauen, an welchen Orten man was macht. Eine genaue Analyse der lokalen/regionalen Struktur ist unabdingbar! Systemische Ansätze können da nur bedingt funktionieren. Sie müssen schauen, was im Kultur- und Musik-Bereich Ihrer Stadt oder Region passiert: Es gibt jazz-affine Städte wie Köln, andere Regionen haben eine ausgeprägte Singer/Songwriter-Tradition mit vielen Clubs. Oder denken Sie an die ausverkauften Konzerte der alten Ostbands in den neuen Bundesländern.
Auf was sollte man achten, wenn man sein Sortiment in Richtung Musik ausweitet? Ein Drehständer mit Billig-Compilations, auf gut Glück aufgestellt, kann ja wohl nicht die Lösung sein?
Schulte-Loh: Eine CD-Abteilung muss sinnvoll in die Struktur der Buchhandlung integriert werden. Dazu müssen Sie etwa wissen, wie die Kundenbewegungen verlaufen. Bislang stellen Buchhandlungen ihre Musik-CDs oft erbarmungslos zwischen die Hörbücher – aber nur weil beides Silberscheiben sind, müssen sie sich nicht zwangsläufig gut gemeinsam verkaufen! Sie brauchen spezielle Warenträger – ähnlich wie bei Büchern sollten sie auch CDs frontal („facings“) zeigen können. Hörmöglichkeiten sind ein absolutes Muss. Und natürlich ist der ganze Bereich zwischen CD und Buch hoch interessant, eben so wie bestimmte Themen: „Musik für Kinder“ etwa erlebt mit der Pisa-Diskussion gerade eine ungeheure Aufmerksamkeit. Wenn man das alles zusammen denkt, taucht plötzlich eine neue Abteilung auf, die man sich als wirkliche „Musikabteilung“ denken kann. Und die der Kunde irgendwann, wie eine Kinderbuch- oder Fachbuchabteilung, in einer Buchhandlung erwartet.
Das Heymann-Testangebot war keine reine Edel-Monokultur – haben auch kleine Independent-Label eine Chance?
Schulte-Loh: Musik-Kunden informieren sich über eine Vielzahl von Special-Interest-Zeitschriften; mit dem Internet hat sich dazu eine weit verästelte Empfehlungskultur etabliert. Wenn also im „Jazzpodium“ oder in wichtigen Internet-Foren eine neue Einspielung als Highlight gepriesen wird, muss man die haben – egal, bei welchem Label sie erschienen ist.
Ihre berufliche Vorgeschichte lässt vermuten, dass Ihr Ansatz nur für große Buchhandlungen sinnvoll zu implementieren ist?
Schulte-Loh: Für größere Flächen ist es auf jeden Fall eine interessante Option. Ich denke, dass bei 130, 140 Quadratmetern die Untergrenze ist – obwohl man das so pauschal nicht sagen kann. Eine kleine kirchliche Buchhandlung kann unter Umständen sehr viele Kunden haben, die auch Musik nachfragen. Wahrscheinlich sollte man, wenn man einen Media-Markt um die Ecke hat, vielleicht lieber die Finger von der Sache lassen. Aber für eine Buchhandlung, die sich – wo möglich bis hin zum Ticket-Verkauf und zur Organisation von Konzertreisen - als Kultur-Unternehmen vor Ort profilieren will, ist Musik ein Thema mit Potenzial.