Meinung

Thomas Meinecke: Ich möchte selber bestimmen

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Warum man genuine Urheberschaft infrage stellen und doch über Netzpiraterie diskutieren kann. Von Thomas Meinecke.
Von Feministinnen lernte ich, an etwas Vordiskursives nicht zu glauben. Die einzelnen Teile dessen, was ich von mir gebe, haben andere bereits von sich gegeben, in anderen Kontexten, mit anderen Absichten. Texte erhalten ihre Originalität durch einen sich der Performativität des Schreibakts bewussten Umgang mit Vorformuliertem. Wie in der Musik (überschaubar die Anzahl der Noten, unendlich die Vielfalt der Melodien), besonders der populären Musik, die durch die Rekontextualisierung, Resignifizierung bekannten Materials in spiralförmiger Wiederkehr das völlig Neue gewinnt: als etwa Bebop 1940 die Standards des Swing in kaum wiederzuerkennende Fragmente zerlegte und dekonstruktivistisch weiterentwickelte (oder Disco 1975 dieselben Standards in eine sexuell dissidente Szenerie überführte).
Popmusik zeichnet sich durch ihren Zitatcharakter aus, sie versucht uns (im Gegensatz zu manchen Strömungen der Rockmusik) gar nicht erst von Authentizität oder genuiner Urheberschaft zu überzeugen. Das mit der Hip-Hop-Culture aufgekommene Sampling, bei dem Musikpassagen aus bereits historischen Stücken direkt in neue Tracks importiert wurden, erlangte seine ästhetische Vervollkommnung, wenn das Merkmal, dessenthalben man sich zur sozusagen freundlichen Übernahme entschlossen hatte, im Neuen bis zur Unkenntlichkeit aufgegangen war. (In Madrid bin ich einmal von Trickbetrügern dermaßen sophisticated übers Ohr gehauen worden, dass mein Respekt für die Raffinesse der Tat größer war als die Trauer um den monetären Verlust. – Wohingegen ich die anfänglich gern als freibeuterisch aufgetretenen Aktivitäten mancher Netzpiraten als neoliberal und also feindselig empfinde.)
Als Musiker in meiner Band arbeite ich nach eben diesen eklektizistischen Prinzipien, als Diskjockey in Clubs macht es mir Spaß, wenn ich aus zwei gleichzeitig laufenden Platten etwas ungeahntes Drittes generieren kann, das ausschließlich aus dem auf zwei Plattentellern rotierenden, von mir in abenteuerliche Deckungsgleichheit gepitchten Vorformulierten besteht. Als Schriftsteller gehe ich ebenso zitatfreudig vor; ich bin überhaupt nicht auf der Suche nach etwas Eigenem, nicht nach dem vermeintlich Eigentlichen. (Mich stört es nicht einmal, dass die Wikipedia-Eintragung zu meinem Namen fehlerhaft ist.)
Mit meinem Verlag mache ich für jedes einzelne Buch die Bedingungen bezüglich der Weitergabe meiner Texte aus. Ich freue mich, wenn ich durch derartige Transaktionen Geld verdienen kann. Manchmal kontakten mich Leute, die einen Text übernehmen wollen, aber nicht dafür zahlen können. Dann rufe ich im Verlag an und nehme den Text für diesen Fall aus der vertraglichen Vereinbarung heraus. Ich möchte selbst darüber befinden können, wer meine Texte unentgeltlich erhalten kann. Und ich verstehe das Verhältnis zu meinem Verlag als eines unter Komplizen. Mein Verlag ist nicht mein Gegner. Er nimmt meine Interessen wahr.
Ich freue mich darüber, wenn jemand 19,90 Euro für meinen neuen Roman bezahlt. Ich betrachte das als anteilige Anerkennung eines mehrjährigen Arbeitsprozesses, als Honorar und nicht als Lohn (wie er mir im Fall einer Kultur-Flatrate zustünde, deren womöglich an Klicks orientierter Verteilerschlüssel gewiss nicht in meinem Sinn und zu meinen Gunsten ausfiele): Hier steht sozusagen Ehre gegen Gnade.