Wir können inzwischen Milliarden Dokumente aus dem Internet herunterladen oder sie in Sekundenbruchteilen durchsuchen. Aber was bekommen wir da zu lesen? Erfreut, erschüttert oder belehrt uns das wirklich? Oder rauscht das eher an uns vorbei oder durch uns hindurch?
Auf das, worauf wir uns wirklich einlassen wollen oder von dem wir uns zusammenhängende Belehrung erhoffen, das lesen wir doch lieber in Form eines persönlich ausgesuchten oder empfohlenen Buches, und zwar aus vielen Gründen.
Begriffe und Zusammenhänge lassen sich erwiesenermaßen besser erfassen und merken, wenn sie mit der stabilen Anmutung des Gedruckten präsentiert werden: Worte eines gedruckten Textes stehen im mehrfachen Sinne des Wortes unverrückbar da. Womöglich deshalb bekommen wir sie besser in unseren eigenen »Langzeitspeicher«.
Wenn es darum geht, längere Texte aufzunehmen, sei es aus Freude oder um sich zu informieren, dann ist ein guter Druck auf geeignetem Papier das Bequemste und Augenschonendste, was es gibt. Die in Jahrhunderten entwickelte Kunst der Typografie, die einen Text »inszeniert« und ihn so dem Leser näherbringt, kommt nur in dieser Form uneingeschränkt zur Geltung.
In seiner Körperlichkeit ist ein Buch, wenngleich das Wichtigste sein Inhalt ist, etwas ganz Reales, das wir anfassen, begreifen können. Sein Material, seine Gestaltung, ja sein Geruch geben sinnliche Qualitätssignale. Ungelesen im Regal ist ein Buch eine stete Aufforderung, es zu lesen, und zwar, je nachdem, wo wir es hinstellen, mehr oder weniger dringend. Ein Lesezeichen in einem noch nicht fertig gelesenen Buch zeigt uns den Fortschritt oder den Punkt des Abbruchs. Und wenn wir darin lesen, können wir es uns tätig aneignen, indem wir darin anstreichen oder Notizen anbringen.
Ein gedrucktes Buch bildet eine dauerhaft verbundene Einheit. Es lässt einzelne Sätze in ihrem vom Autor bedachten Zusammenhang; sie herauszureißen, erfordert einige Anstrengung: Wer etwas herausnimmt, zerstört das Buch. Deshalb möchten Autoren in der Regel, dass aus ihrem Manuskript ein »richtiges« Buch wird.
Schließlich ist das gedruckte Buch auch die bewährte Form, Gedanken und Fantasien über die Jahrhunderte dauerhaft festzuhalten. Frost kann ihm nichts anhaben, Hitze und Feuer nur, wenn sie länger einwirken. Vor allem aber kann es auch nach Jahrhunderten noch von jedem problemlos gelesen werden, der überhaupt lesen kann.
Auf Textdateien oder Datenbanken trifft das alles nicht oder nur eingeschränkt zu: Sie lassen sich nicht anfassen, sie riechen nicht, sie nehmen keinen sichtbaren Platz ein, sie präsentieren ihren Text mit weniger Schärfe und Kontrast und in liebloser Automaten-Typografie, sie lassen höchstens maschinelle Notizen zu, sie laden zum »Copy & paste« geradezu ein und ihre Lesbarkeit in der Zukunft hängt von sehr viel komplexeren Voraussetzungen ab. Sie sind zwar um Klassen maschinengerechter, aber eben auch um Klassen weniger menschengerecht.
Ich will nicht als Maschinenstürmer missverstanden werden. Es gibt Arten von Veröffentlichungen, die früher als Bücher erschienen und die heute besser als Datenbanken oder auch als lineare Dateien zugänglich gemacht werden sollten: Telefonbücher, auch Kursbücher und Bibliografien mussten in schneller Folge neu gedruckt werden, um mit der Änderung der Angaben Schritt zu halten.
Für unsere Herzensbildung sowie für unseren über das Schlucken von Einzelergebnissen hinausgehenden Fortschritt der Erkenntnis müssten wir so etwas wie das gedruckte Buch aber schleunigst erfinden, wenn wir es nicht schon hätten. Es wird deshalb nach wie vor für viele das maßgebende Medium sein und bleiben: für viele Autoren, für viele Leser und auch für viele Verlage.