Meinung: E-Book

Wenn Charlotte Roche nach Katze riecht

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Warum elektronische Reader schleunigst sinnlich aufgewertet werden müssen. Von Rainer Moritz.
Verdächtige Ruhe ist eingekehrt. Nachdem zur Leipziger Buchmesse in diesem Frühjahr selbst die Fachzeitschriften des Fleischereihandwerks nicht umhinkamen, über die Revolution des E-Books zu berichten und unheilvoll das Ende des herkömmlichen Buches heraufbeschworen, scheint diese künstlich entfachte Euphorie inzwischen sogar bei glühenden Sony-Reader- oder iPhone-Enthusiasten auf Normaltemperatur abgekühlt zu sein.
Die Geschäfte florieren mäßig, und erste enttäuschte Nutzerresonanzen lassen nicht auf sich warten. Ein Münchner Lektor etwa, der seit etlichen Monaten ein Geschäfts-E-Book sein Eigen nennt, gestand mir heimlich, dass er sein Gerät bei Arbeitsbeginn missmutig betrachte und dazu übergegangen sei, wichtige Textpassagen auszudrucken. Und eine Kollegin aus der Presseabteilung eines Verlags teilte mir entrüstet mit, dass ihr Lesegerät auf einer sonnigen Kykladeninsel seinen Geist aufgegeben und ihr auf jeder Romanseite die Anfangszeilen vorenthalten habe.
Wie – darüber sollten die E-Book-Promoter dringend nachsinnen – kann es gelingen, einem solchen Überdruss vorzubeugen? Vielleicht mit der Erkenntnis, dass es nicht, wie meist betont, die berühmten haptischen Qualitäten sind, die den unersetzlichen Reiz des alten Buches ausmachen? Ja, es scheint so, dass man bislang den olfaktorischen Faktor der Angelegenheit vernachlässigt hat. Denn elektronische Reader riechen nach herzlich wenig; sie strahlen eine sterile sinnliche Armut aus und verströmen nicht diese eigentümliche Geruchsmischung, die leidenschaftliche Leser so inniglich lieben.
Abhilfe tut not, und Abhilfe ist da: auf der großartigen Website http:/smellofbooks.com, deren Betreiber erkannt haben, woran die neue Lesewelt krankt. Seit dem 1. April bietet man dort Geruchsverstärker an, in fünf aparten Duftnoten. Die in handelsüblichen Spraydosen offerierten Produkte sollen traditionell ausgerichteten Lesern die Möglichkeit geben, ihren ungeliebten Reader einzustäuben. Angeboten werden beispielsweise Geruchsnoten, die staubige Muffigkeit oder einen »new book smell« erzeugen.
Auch die Leserin, die sich wie in einem Jane-Austin-Roman fühlen möchte, kommt auf ihre Kosten – mit der Geruchsrichtung »Scent of Sensibility« und deren Melange aus Flieder- und Pferdeausdünstungen. Und nicht zuletzt dürfte, nicht nur bei Mitarbeitern des Schöffling Verlags, das für 6,99 Dollar angebotene Sprühprodukt »Eau, You Have Cats« auf breite Gegenliebe stoßen, vermittelt es doch, den Anbietern zufolge, ein unverwechselbares Geruchserlebnis, ganz so, als habe man ein Buch aus Omas feuchtem Keller ausgeliehen.
Speziell für Männer, die bereits beim Frühstück ihren elektronischen Wunderapparat konsultieren, wurde der »Crunchy Bacon Scent« in langjährigen Studien entwickelt, der auf kalorienarme Weise ein üppiges Ham-and-Eggs-Frühstück ersetzt und das Thema »Fettflecken auf dem Display« ausblendet.
Man sieht beziehungsweise riecht es: Die Unkenrufer, die schon jetzt an eine Flaute des elektronischen Lesens glauben, sollten sich nicht zu früh freuen. Die geruchsverstärkenden Maßnahmen dürften neue  Käuferschichten ansprechen und Tradition und Fortschritt auf schönste Weise verbinden. b