Von der Bücherwand

Das Antiquarsspiel

6. August 2009
Redaktion Börsenblatt
Der Markt deutschsprachiger Bücher ist begrenzt, wenn nicht sogar im Schrumpfen begriffen. Ihnen steht die sich vergrößernde Menge aller antiquarischen Bücher gegenüber, die jedes Jahr um Neuerscheinungen und Remittenden wächst. Ein Beitrag von Rainer Friedrich Meyer.

Gestern las ich in der Online-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Artikel von Jürgen Kaube über die Spieltheorie (siehe Link unten). Spontan entdeckte ich im ersten geschilderten Beispiel von der Überfischung eines Meeresgebietes Parallelen zu unserem Handel mit antiquarischen Büchern. Ich kann nicht garantieren, daß Handlungsanweisungen aus meinen Überlegungen zum sogenannten Gefangenen-Dilemma entstehen, aber vielleicht geringe Erkenntnisse. Wem das zu unsicher ist, der mag hier abbrechen und seine Zeit anderswo verbringen, ich vergeude nur die meine.

Ich möchte die Situation zuerst stark abstrahieren. Nehmen wir zwei Händler a und b, die je dasselbe Buch, das sie zum selben Preis Eab erworben haben auf einer Plattform zum Preis Vab anbieten. Sinnfälligerweise gilt Vab>Eab. Am besten wäre es für a und b, sie warteten, bis einer von ihnen, sagen wir a, das Buch für Vab verkauft, er könnte dann seinen Gewinn aus Vab-Eab einstreichen, und der andere Händler, b in unserem Beispiel, der nun das einzige Exemplar anbietet, wäre frei, seinen Preis auf Wb zu erhöhen, also Wb>Vab>Eab, und er striche nun, wenn auch dieses Buch seinen Käufer fände, seinen Gewinn ein, der sich aus Wb-Eab errechnet, wobei Wb-Eab > Vab-Eab, sein Verdienst wäre also um die Differenz Wb-Vab höher als der von Händler a.

Da a das alles bekannt ist, versucht er, b zuvorzukommen, indem er sein Buch zu einem Rabattpreis Ra anbietet, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu sichern. Also ist RaEab, also daß der Rabattpreis höher ist als der Einkaufspreis.

Da b die Preisstrategie seines Kollegen ahnt oder bemerkt, senkt er seinen Verkaufspreis ebenfalls, der nun Rb beträgt, wobei RbEab.

Beide machen also noch keinen Verlust. Nur ahnen oder wissen sie jeweils, was der andere tut. Ergo wird nun a des Wettbewerbsvorteils wegen nochmals seinen Preis senken, daraufhin b, und so fort. Dies sollte eine Grenze haben bei Ra=Rb=Eab, denn nun machen beide keinen Gewinn mehr. Jedes Weitermachen brächte ihnen Verlust.

Wir können an dieser Stelle mit dem Abstrahieren aufhören und uns einer vereinfachten Realität zuwenden: Der Markt deutschsprachiger Bücher ist begrenzt, wenn nicht sogar im Schrumpfen begriffen, er umfaßt potentiell weltweit alle Personen, die der deutschen Sprache und des Lesens deutscher Texte fähig sind. Ihnen steht die sich vergrößernde Menge aller deutschsprachigen antiquarischen Bücher gegenüber, die jedes Jahr um die gelesenen Neuerscheinungen und die Remittenden wächst. Ich lasse eine möglicherweise steigende Zahl von Ankäufen aus Nachlässen (Stichwort: Alterspyramide) absichtlich aus; wer will, mag dies zur wachsenden Gesamtanzahl hinzudenken, er müßte dann aber auch die aus demselben Grunde schrumpfende Anzahl von Käufern miteinbeziehen. Die Realität ist also ärger als das in sich abgeschlossene, vereinfachte Modell.

Wollen alle Händler antiquarischer Bücher überleben, so dürfen sie ihre Einzelpreise höchstens um den Faktor reduzieren, wie der Zuwachs beträgt, vermindert um die allgemeine Inflation sowie die Lohnsteigerung. Wäre die Summe aus Inflation und Lohnsteigerung unwahrscheinlicherweise höher als die Zuwachsrate, ergäbe sich sogar die Möglichkeit einer kleinen Preiserhöhung.

Anders gesagt, sollte im Idealfall die Summe aller Preise aller angebotenen deutschsprachigen antiquarischen Bücher sich prozentual nur um die Inflationsrate sowie die Lohnsteigerung erhöhen, was bei einer wachsenden Menge deutschsprachiger antiquarischer Bücher eventuell, je nach Inflation und Lohnsteigerung, zu einer geringen Preisminderung jedes einzelnen Buches führen würde. Damit wären ein weiterer Verkauf zu allseitiger Zufriedenheit sowie der Broterwerb der Antiquare einigermaßen sichergestellt.

Wie wir wissen, ist das Gegenteil der Fall, sehen wir von den Ausnahmen besonders wertvoller, ergo eben auch seltener bis unikaler Werke ab, deren Preise steigen, so befinden sich die Preise mehr- bis vielfach angebotener Bücher im Sinkflug.

Rainer Friedrich Meyer