In ihrem Prüfbericht für das Geschäftsjahr 2008, der jetzt bekannt wurde, äußerten die Wirtschaftsprüfer Ernst & Young heftige Zweifel an der Geschäftsfähigkeit des Unternehmens, wie britische Medien berichten.
Doch der Reihe nach. Erinnern Sie sich noch an die späten 90er Jahre? An die Casino-Stimmung, die sich rund um Medien und neue Technologien ausgebreitet hatte? An die Zeit, als die Analysten sich enttäuscht zeigten, wenn die sexy Newcomers im Internet nicht wenigstens 100 Prozent Wachstum jährlich einfuhren? Als die Parole ausgegeben wurde, „Content“ sei „King“ und alle Anbieter desselben würden durch die unvermeidbare Konvergenz der Medien ganz ganz schnell ganz ganz reich werden?
Das war die Zeit, als die Wachstumshysterie auch den US-Buchmarkt erfasste. Angeführt von Barnes & Noble stapften die Giganten durch die Prärie und machten einen Superstore nach dem anderen auf. Borders, die Nummer zwei in den USA, machte kräftig mit, ebenso Books-A-Million und andere, die ihre Lust am Wachstum mittlerweile mit der Pleite bezahlt haben.
„Die Nummer zwei ist der erste Verlierer“ hieß es seinerzeit allenthalben, und die Borders-Vorstände mussten sich Vierteljahr um Vierteljahr die Nörgelei der Analysten und Großaktionäre anhören. Wie sollte man es anstellen, am ewigen Primus Barnes & Noble vorbei zu ziehen? In den USA war man hoffnungslos im Hintertreffen, was die Zahl der Läden anging. Also, dachte man sich, probieren wir das jetzt mal im Ausland.
Puerto Rico, Singapur und Australien waren die Vorreiter für die internationale Expansion von Borders. Und 1998 ergab sich die Gelegenheit im Markt des größten englischsprachigen Buchproduzenten Fuß zu fassen: Books Etc. stand zum Verkauf, ein Juwel im britischen Buchhandel, und damit ein ordentliches Filialnetz samt einigen lukrativen akademischen Buchhandlungen in Bestlage. Man griff zu, der Kaufpreis war gigantisch, wie alle Übernahmepreise in jenen Jahren. Und man machte sich daran, Großbritannien mit Superstores zu beglücken.
Dabei ging man von Beginn an mit einer Strategie vor, die sich in Management-Handbüchern möglicherweise gut machte: Kurz nacheinander wurden Riesenläden an der Londoner Oxford Street und Tottenham Court Road eröffnet – kaum einen Steinwurf voneinander entfernt, und in direkter Nähe zu einer ganzen Reihe etablierter Spezialsortimente, einem Waterstones-Superstore und dem seinerzeit im Niedergang befindlichen Buchhandels-Dino Foyles.
Die Sache wurde auch nicht leichter gemacht durch den Umstand, dass just zu jener Zeit WH Smith sich von Waterstones trennte und die Buchläden an den damals noch sehr potenten Medienhändler HMV weiterreichte, der viele Millionen in den Ausbau des Filialnetzes und den Aufbau von weiteren Superstores steckte. Europas größter Buchladen, Waterstones am Piccadilly Circus, ist Ergebnis dieser Politik.
Womit in der Zeit des schnellen Geldes niemand zu rechnen schien war der Umstand, dass der Wegfall des Buchpreisbindung in Großbritannien einen veritablen Drachen aus der Höhle hervorgelockt hatte: Die Supermärkte, allen voran Marktführer Tesco, entdeckten für sich das schnelle Geschäft mit billigen Büchern, die vor allem als „loss leader“ für den Verkauf von Zahnpasta, Karotten und Klopapier eingesetzt wurden. Die Preisspirale begann, sich zu drehen, und zwar nach unten, und immer schneller. Sowohl bei Waterstones wie auch bei Borders fand das jeweilige Management – das in beiden Firmen aus Leuten bestand, die bis dato Bücher gelesen, aber nie verkauft hatten – auf diese Bedrohung stereotyp eine immer gleiche Antwort: Preise senken.
Womit die Großfilialisten in die gähnende Falle tappten: Nach der Internet-Blase war nämlich auf der Insel eine Immobilienblase entstanden. Weshalb die Mieten für die Toplagen, die man nun einmal für Superstores benötigt, in die Stratosphäre schossen. Wie sich so etwas auf Cash Flow und Bottom Line auswirkt, steht auch in jedem Handbuch der Betriebswirtschaft. Bei Borders erkannte man Mitte des neuen Jahrzehnts die fatale Entwicklung und mühte sich heftigst, einen Schlussstrich unter das britische Abenteuer zu ziehen. Verkaufen, um fast jeden Preis, hieß die Devise, aber bis auf ein paar Kleinfilialen, die von den Angestellten übernommen wurden, und ein paar anderen, die Waterstones übernahm, tat sich nichts. Weil aber die Kette zum Verkauf stand, blieben auch viele Investitionen in die Qualität der Filialen aus. Immer öfters, so wird berichtet, blieb Borders UK säumig bei seinen Zahlungen, immer weniger Mitarbeiter wurden beschäftigt. Alles keine Mittel zur Kundenbindung.
Ende 2007 beteiligte sich der Multi-Unternehmer Luke Johnson, der mit Restaurantketten reich und zum Medienstar geworden war, durch seine private Risiko-Kapitalgesellschaft. Um aber nur gefühlte Bruchteile von Sekunden später daran zu gehen, den eben erst erworbenen Besitz wieder abstoßen zu wollen.
Schlechtes Timing: Schon Anfang 2008 erfuhren die Investmenthäuser und Heuschrecken, was es bedeutet, wenn Kredite knapp werden. Das alte Geschäftsmodell, Übernahmen zu maximal 10 Prozent aus Eigenmitteln zu finanzieren, den Rest des Kaufpreises über Kredite zu finanzieren und diese dann der gerade erworbenen Gesellschaft aufzudrücken, funktionierte nicht mehr so recht. Besonders bei Borders UK, das sich gerade der von Johnson übertragenen Schuldenlast erfreute, im Kerngeschäft Verluste machte und kaum noch in der Lage zu sein schien, die Mieten für seine Filialen zu begleichen. Zumal auch die Zuschüsse aus dem amerikanischen Mutterhaus dank eigener Finanzprobleme weitestgehend ausfielen. Allein der vierstöckige Superstore in Oxford Street verschlang 2008 satte 1,9 Millionen Pfund an Miete, gut 20 Prozent mehr als noch im Vorjahr.
Und so verwundert es nicht, dass die Wirtschaftprüfer für das Jahr 2008 die Alarmglocken läuteten: Bei einem Umsatz von 218 Millionen Pfund (ca. 260 Mio Euro) war der Verlust gerade um satte 36 Prozent auf 13,5 Millionen Pfund (ca. 16,2 Mio. Euro) gestiegen. Mietzahlungen mussten jetzt zum großen Teil nicht mehr vierteljährlich, sondern monatlich geleistet werden – auch nicht gut für die Liquidität. Gleichzeitig verschlechterten sich die Zahlungsbedingungen: Wo Waterstones seinen Lieferanten Zahlungsziele von einem Jahr abringen konnte, sprach Ernst & Young mit Blick auf Borders UK von Zweifeln am „continuing support“ der Lieferanten und dem Zugang zu Kreditversicherern. Will sagen: Borders UK scheint damals bei seinen Lieferanten und Geldversorgern ungefähr so eingestuft worden zu sein wie es später im Jahr mit den Schrottanleihen auf amerikanische Immobilien geschah. Als vergiftet.
Seit Monaten wird berichtet, dass Borders von Auslieferern auf Stop gesetzt wird und dass gelieferte Ware nicht mehr gegen Zahlungsausfall versichert werden kann.
Es ist unwahrscheinlich, dass ausgerechnet das miserable Buchhandelsjahr 2008 und die nicht minder schlimme erste Hälfte des laufenden Jahres das Mirakel vollbracht haben sollten, Borders UK wieder flott zu machen. Die Übernahme durch das Management Anfang Juli, die wesentlich durch den Finanzinvestor Hilco bewerkstelligt wurde, der sich auf den Kauf von maroden Einzelhandelsfirmen spezialisiert hat, dürfte die betriebswirtschaftlichen Kennziffern für das Unternehmen auch nicht wirklich verbessert haben. Das Bekanntwerden der Ernst & Young-Kritik wird auch den Kreditzugang nicht nachhaltig erleichtern, zu einem Zeitpunkt, an dem Borders UK-Chef Philip Downer öffentlich nach frischem Geld für sein Unternehmen ruft. Aus den USA, wo die Mutter Borders, die weiterhin 17 Prozent der Anteile hält, mit dem Rücken zur Wand steht, ist wenig zu erwarten.
Ob es schade wäre, wenn Borders UK dicht machen müsste? Nun, die Kette steht für etwa 6 Prozent des Absatzes im stationären britischen Buchhandel. Ein solcher Ausfall wäre schlecht zu verschmerzen. Schlimm wäre es für die Mitarbeiter. Die Kunden aber werden mit den Achseln zucken und die Rabatte bei Waterstones (über das ebenfalls schlimme Gerüchte die Runde machen) um die Ecke mitnehmen. Und dank der Bestseller-und-Billigbücher-Politik der vergangenen Jahre werden nur wenige Verlage die Tränendrüsen aktivieren, sollte Borders UK das Zeitliche segnen.