Reaktion von Urs Heinz Aerni auf die Longlist:
Wir haben sie wieder, die Longlist vor der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2009 und die Schweizer Version folgt demnächst. Die Sichtung dieser Liste löst Verärgerung aus und veranlasst zur Kritik.
Bestehen eigentlich der Literaturbetrieb und der Buchmarkt nur noch aus Konzernverlagen? Trotz meiner Reaktion sei betont, das ich nichts aber auch gar nichts gegen Verlage wie Hanser, Kiepenheuer & Witsch oder S. Fischer habe, auch nichts gegen Rowohlt. Aber angesichts der Tatsache, dass im deutschsprachigen Raum eine erfreuliche Artenvielfalt an Verlagen und Belletristik vorzufinden ist, versammeln sich immer wieder Titel von den gleichen Autorinnen und Autoren und Verlagen in die obengenannten Listen. Da fragt sich doch jeder lesende Mensch schlicht: "Wieso?" oder "Was soll das?". Liegt es an der Lobby der Großverlage oder deren Dominanz durch die Marketing- und Presseabteilungen?
Warum kommen nicht mehr neue Namen von unabhängigen Verlagen zum Zug?
Warum kommen keine Romane aus den Verlagen wie Luftschacht, Bilger, Engeler, Dittrich oder Picus auf die Liste? Wieso gehen die sehenswerten, literarischen Programme von Verlagen wie Limbus, Lenos, Limmat oder Klever an der Aufmerksamkeit bei Jurys und mancher Feuilleton-Redaktion vorbei?
Den Markt bedienen oder Kunst bewerten?
In der Jury sitzen Literaturkennerinnen und Bücherexperten. Wo bleibt ihre fachkompetente Neugier auf neue Texte? Wieso bleibt die Risikofreude bei der Neuerkundung von unbekannten Literaturen auf der Strecke? Ist es der Medienwirbel, der bedient werden muss? Ist es der Quotendruck beim Publikum? Ist es der Großverlag im Nacken?
Nun, es bleibt wohl nichts anderes übrig als all die Fragen mit einem kulurpessimistischen "Ja" zu beantworten. Wenn ein Kunst- und Kulturpreis ausgeschrieben wird und viele Autorinnen und Autoren aus unabhängigen Verlagen nicht den Hauch einer Chance haben, dann dürfen solche Buchpreise literaturtechnisch nicht mehr ernst genommen und dem geldscheffelnden Massenmarkt abgeschrieben werden.
Bestseller und Großverlage mit ihren Stars gehören zum Literaturbetrieb wie alle anderen Bücher. Wenn sich aber alles nur noch um diese Schnelldreher dreht, dann vergeht die Lust am Entdecken. Liebe Jury, liebe Kritikergemeinde, es gibt eine enorme Artenvielfalt in der neuen Literatur. Nutzt sie.
Erwiderung von Hubert Winkels:
Sehr geehrter Herr Urs Heinz Aerni,
Sie haben teilweise und möglicherweise in der Tendenz recht mit Ihrer Feststellung, auch wenn die Klage über viele größere Verlage sicher nicht für die Frankfurter Verlage Schöffling und Frankfurter Verlagsanstalt und nicht für den Grazer Droschel-Verlag und den St.-Pölten/Salzburger Residenz Verlag gilt, auch wenn sie alle seit langem einen guten Namen haben, und der respektable Residenz Verlag früher einmal größer war.
Tatsächlich, und das ist entscheidend, kümmert den lesenden Juror der Verlag, in dem der gelesene Roman erschienen ist, gar nicht. Von den 154 Büchern (plus etlichen zusätzlich gelesenen) sind viele aus kleineren Verlagen, und wenn sie in der Vor-Endrunde nicht dabei sind, dann hängt das von der Qualität der Texte ab, so wie die Jury sie sieht.
Mehr kann ich sachlich und konkret dazu eigentlich nicht sagen. Ob der professionelle Leser bei der Arbeit unbewußt eine Unterscheidung der Verlage vornimmt nach Maßgabe der Tradition, der Erfahrung vieler früher dort erschienener Bücher usw., die dann in sein Urteil hinterrücks einfließt, das hat man bekanntlich nie völlig unter Kontrolle. Siehe Gadamers hermeneutische Ehrenrettung des Vorurteils und Freuds Theorie des Unbewußten. Wir Juroren agieren so vernünftig wie möglich, und dazu gehört die kraft Anspannung aller bewußten Kräfte: verlagsunabhängige Betrachtung der Romane.
Nimmt man diesen Befund und die Intentionen der Jury ernst, dann stellt sich aber tendenziell eine andere Frage, nämlich: wie kommt es dazu, dass sehr viele der guten neuen Romane - und nur um ROMANE geht es hier! - in relativ wenigen größeren bekannten Verlagen erscheinen (von denen wiederum viele auch keine von Ihnen so genannten Konzernverlage sind, Herr Aerni?
Das allerdings wäre eine Diskussion wert, anhand von Fragen wie: Was machen die Großen besser? Oder: Warum wenden sich gute Autoren eher an die größeren Verlage? Und viele mehr..., doch allein schon die beiden genannten Fragen legen nahe die schöne englische Sentenz ernst zu nehmen: IT TAKES TWO TO TANGO.