Editorial zur Ausbildungssituation im Buchhandel

Auf der Liste gefährdeter Arten

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Die Branche hat den Image-­Totalschaden ihres zentralen Berufs zu beklagen. Junge Leute bei Verstand und gesundem Gemüt wollen keine Buchhändler mehr werden: weil dieser Job angeblich bald ausstirbt, weil er lausig bezahlt wird und weil man bei der Arbeit die große Langeweile fürchtet.
Diese Befunde der Gesellschaft für Konsumforschung werden Ausbildungs­betrieben wie auch dem Börsenverein erhebliche Anstrengungen abverlangen – nicht nur, aber vor allem solche der Kommunikation.
Nun kommt zur Ausbildungszurückhaltung des Sortiments, über die wir vergangene Woche berichteten, also die Abneigung potenzieller Azubis hinzu. Sie halten es, statt Melville zu verkaufen, mit dessen Schreiber Bartleby: »Ich möchte lieber nicht.«

Leider wird die Entwicklung allseits befeuert. Das physische Buch gerät wegen des Dauer-Hypes­ um seine neue Entwicklungsstufe als E-Book unter Druck. Vermutlich nehmen es die Herausgeber des »Lexikons der verschwundenen Dinge« bald in ihre erfolgreiche Anthologie der Abschiede auf, und niemanden wird die Paradoxie trösten, denn Hypes machen uns unsensibel für Widersprüche. Wenn aber eine mehrheitlich desinformierte Gesellschaft bereit ist, Bücher auf die Liste gefährdeter Arten zu setzen – gleich neben die Zeitungen –, warum sollten Berufssuchende dann noch vermuten, Händler dieser überkommenen Ware würden weiterhin gebraucht?

In der Abwärtsspirale droht sich ein Strukturwandel zu Ungunsten des stationären Sortiments zu beschleunigen. Online-Bestellknopf oder Buchhändler-Beratungskopf: Auf welchen Vertriebsweg fällt bei ungetrübtem Kostenbewusstsein wohl die Wahl? Die Gewichte zwischen den Sparten könnten sich verschieben. Wer margenstarken Handel betreiben will, muss auch künftig seine buchhändlerische Kompetenz darlegen können. Sonst ist bald Sabbat mit Rabatt.
»In der Buchhandlung will man überrascht werden«, schreibt die Verlegerin Ursula Rosengart. Zu Überraschungen fähig sind aber nur Menschen mit Informa­tionsvorsprung und Grundkenntnis in Überraschungstechniken.
Viel steht auf dem Spiel. Ein paar flotte Folder mit lächelnden Azubis im beglückenden Kundengespräch werden es nicht wenden. Werbung für den Beruf des Buchhändlers ohne eine Kampagne für das Buch springt zu kurz: Zeit für offenes Denken, ein integriertes Konzept und solidarisch und fett finanziertes Marketing. (Ich weiß, das Thema hatten wir schon mal.)