Löffler: Nein. Der Preis ist international ausgerichtet, das ist richtig. Aber er konzentriert sich auf globale, transnationale Literatur in deutscher Erstübersetzung. Seit Jahren vollzieht sich mit großer Dynamik ein Umbruch in der Bücherwelt, der hier noch gar nicht so richtig bemerkt wurde – der Wandel von der Weltliteratur zur «Global Literature». Deren Autoren kommen aus oft literaturfernen Weltgegenden, meist aus Krisenregionen. Sie sind so etwas wie literarische und sprachliche Brückenbauer zwischen den Kulturen der Welt – oft Migranten und sehr oft Sprachwechsler. Überspitzt ließe sich sagen: Es ist eine Literatur ohne festen Wohnsitz. Der Preis will dieser globalisierten, entterritorialisierten Literatur Gehör verschaffen, geschrieben von Autoren meist aus Asien, Afrika, Lateinamerika.
Aber die ursprüngliche Vorgabe war es doch, das beste literarische Werk weltweit in deutscher Übersetzung zu prämieren.
Löffler: Die Statuten sind etwas weiter gefasst, aber de facto geht es um die von mir beschriebene Literatur. Auch die ist reichhaltig genug, die Jury musste immerhin mehr als 140 Bücher bewerten. Der paternalistische Eurozentrismus in der Literatur verliert ja an Bedeutung. Verstärkt ins Deutsche übersetzt werden Bücher aus Regionen wie Somalia, Pakistan, Afghanistan, Iran, dem karibischen Raum. Also aus Weltgegenden, die sich immer deutlicher zu Wort melden und endlich gebührend wahrgenommen werden sollten.
Was macht diese Literatur aus? Ist sie geprägt durch die Doppelperspektive des Autors?
Löffler: Ja, es ist eine Literatur, die Vermittlungsarbeit zwischen den Kulturen leistet und damit den Blick auf die eigene, wie auch auf die fremde Kultur verändert. Sie ist unter hybriden Bedingungen entstanden und macht kulturelle Hybridität zu ihrem Thema. Die Identitätsproblematik, die Frage der kulturellen Mischungen, der Mehrfach-Identitäten spielt eine große Rolle. Auf der Shortlist sind vier Sprachwechsler: ein Peruaner, ein Libanese, ein Äthiopier, ein Mann aus Sarajevo, die alle nach Nordamerika emigriert sind und nun Englisch schreiben. Das ist kein Zufall.
Wahrscheinlich ist es auch kein Zufall, dass sie alle die englische Sprache wählen. Bedeutet das in der Konsequenz, dass die aufregendste Literatur doch aus den USA kommt?
Löffler: Nein, eben nicht. Das ist eine Literatur, die in diese Sprache eingewandert ist, aber natürlich mit ihrem ganzen kulturellen Gepäck und infolgedessen die Sprache, das Amerikanische, auch verändert.
Gab es für Sie selbst Entdeckungen?
Löffler: Es gibt fast nur Entdeckungen, weil diese Literatur noch nicht so festgelegt und etabliert ist. Andererseits ist die Jury mit Spezialisten für die verschiedenen Weltgegenden und Sprachräume besetzt.
Ist diese Literatur, die von extremen Erfahrungen der Globalisierung geprägt ist, für Sie spannender, reizvoller als die heimische?
Löffler: Ich tendiere seit Jahren schon zu dieser Literatur hin, weil ich in der Tat denke, dass diese Autoren mehr Welt gesehen und erfahren haben und dies in ihre Bücher einbringen. Das ist möglicherweise interessanter als die ewigen Beziehungskrisen in Wohngemeinschaften, die deutsche Autoren sehr gern beschreiben. Die Erfahrung des Bürgerkriegs, der erzwungenen Emigration haben deutsche Autoren, zu ihrem Glück natürlich, nicht machen müssen, aber das sind Themen, die den Menschen heute weltweit unter den Nägeln brennen.
Der Preis ist zweigeteilt: er geht an den Autor und den Übersetzer. Wie bewerten Sie die Arbeit des Übersetzers. Lesen Sie parallel zur Übersetzung das Original?
Löffler: Ja, so weit es möglich ist, vergleichen wir die Übersetzung mit dem Original.
Was kann der Preis bewirken?
Löffler: Das ist ein Preis der Zukunft. «Global Literature» wird uns in den kommenden Jahren immer dringlicher beschäftigen, davon bin ich überzeugt. Der Literaturen-der-Welt-Preis lenkt den Blick in die richtige Richtung.
Bisher sind die Reaktionen auf den Preis eher zurückhaltend. Sind Sie enttäuscht?
Löffler: Ja, ich hatte gehofft, dass die Kollegen in den Feuilletons neugieriger sind. Aber vielleicht haben sie bisher einfach zu flüchtig hingeschaut und noch nicht so recht wahrgenommen, was da entsteht.