Preisverleihung

»Er schanzt mir nun diesen Preis zu«

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Gestern erhielt der Wiener Journalist und Kritiker Ulrich Weinzierl die mit 10 000 Euro dotierte Auszeichnung im Foyer der F.A.Z. Weinzierl ist Wiener Kulturkorrespondent der Zeitung »Die Welt« und veröffentlichte Bücher über Polgar, Schnitzler und Hofmannsthal. In seiner Dankesrede sprach Weinzierl weniger über Lyrik als über die Lage der Verlage – und Journalisten.

F.A.Z-Herausgeber Frank Schirrmacher resümierte in seiner Begrüßung die Geschichte der seit 1974 jeden Samstag erscheinenden »Frankfurter Anthologie«. Dank ihres beharrlichen Erfinders Marcel Reich-Ranicki hält sich die Rubrik seit 35 Jahren – was angesichts der Dominanz, mit der Anfang der Siebziger theoretische Texte den Diskurs bestimmten, kaum jemand geglaubt hätte. Die Gedichte, die Interpretationen, und auch noch die persönlichen Wertungen machten die Rubrik erfolgreich. Plötzlich wollte man an dieser Stelle gelesen werden – was zu überraschenden Bewerbungen von Prominenten führte, denen man eine lyrische Interpretation nicht in jedem Fall anvertrauen wollte. Interpreten, deren Beiträge die Lyrik besonders gut vermittelt haben, werden seit 1998 mit dem Preis der Frankfurter Anthologie ausgezeichnet.

In seiner Laudatio auf Weinzierl erzählte Marcel Reich-Ranicki, wie er 1978 mit dem Wiener Theaterkritiker Hans Weigel in Wien zu Tische saß. Daneben ein junger Mann, der nichts zu sagen wagte. »Er schwieg eindrucksvoll«, schnarrte Reich-Ranicki, der im beredten Schweigen eine enorme Kenntnis des Theaters und der Literatur vermutete – wie sich in den nachfolgend ausgeführten Rezensionen für die F.A.Z bestätigte. »Sehr ordentlich«, belehrte Reich-Ranicki das Publikum, »ist für einen Anfänger sehr viel«. In den folgenden Jahren habe Weinzierl einen klaren und entschiedenen Ausdruck entwickelt. Seine Urteilsfähigkeit müsse nicht mit ihrem Wissen prahlen, es sei aber in jeder Zeile zu verstehen.

Reich-Ranicki verlas die Begründung der Jury, in der die ungewöhnliche Feinfühligkeit und Vielseitigkeit des Autors gewürdigt wird. Weinzierl nahm die Urkunde und den beiläufig zugesteckten Scheck mit später zugegebener Sentimentalität entgegen. Aus der zwiespältigen Situation, von einem inzwischen zum Freund gewordenen Kollegen einen Preis anzunehmen, rettete Weinzierl sich mit gespielter Empörung: Reich-Ranicki, der Übel- und Wohltäter in Personalunion sein könne, »schanzt mir nun diesen Preis zu«.

Weinzierl gab zu, dass ihn dieser Preis am meisten von seinen bisherigen Auszeichnungen freue. In seiner Dankesrede ging er von der lyrischen Rubrik schnell zur prosaischen Lage des Kulturjournalismus über. Rückblickend auf seine erste Rezension für die F.A.Z. griff er das Motto des damals besprochenen Buches auf: »Die Wirtschaft ist das Schicksal«. Die wirtschaftliche Lage verursache heute einen Kostendruck, der als Druck zur Inkompetenz auf den Journalisten laste. »Jeder soll über alles schreiben können« – auf die Weise geselle sich Meinungsstärke zur Urteilsschwäche. Angesichts dieser Lage plädierte Weinzierl für Qualitätsjournalismus mit ruhiger Gelassenheit, doch ohne kompromittierende Kompromisse. Weinzierl bekannte, »bildungsbürgerlich reaktionär gesinnt« zu sein, und er fühle sich mit seinem Bildungsbegriff wie das Mitglied eines ausgestorbenen Berufstandes – ähnlich den von Herzmanovsky-Orlando beschriebenen ehemaligen KuK-Würdenträgern.

Zum Abschluss gab es zwölf Gedichte zu hören, mit Schwung und Freude vorgetragen vom Verfasser selbst, Dirk von Petersdorff. Eine Zeile aus dem Gedicht »Zu Besuch« stach passend zum Thema von Weinzierls Dankesrede heraus: »Was heißt Erfolg? Du bist bei Dir geblieben«.

Weitere Eindrücke des Abends finden Sie in der Bildergalerie.