Künstlerischer Höhepunkt war der Auftritt Wolf Biermanns, der – die schwarze Lederjacke lässig über den Mikroständer gehängt – in vertrauter Manier seine vertonten Gedichte vortrug. Er grölte, sang, schrie, sprach, flüsterte von der Liebe zu den Frauen und zum Leben, von Ost und West, von Krieg und Sterben und begleitete sich selbst auf der Gitarre.
Dabei ging es fast schon familiär zu – Biermann begrüßte Freunde, Bekannte und Weggefährten mit Handschlag, von der Bühne aus wandte er sich oft direkt an den Förderer des Festivals, Klaus-Michael Kühne. Die beiden kennen sich aus Kindertagen. Die Hamburger Jungs drückten zusammen die Schulbank. „Ich war der Ärmste, er war der Reichste. Ich war der Kleinste, er war der Größte. Ich war der Dümmste, er war nicht der Klügste.“, befand Biermann, der als 16-Jähriger in die DDR übersiedelte.
„Er versuchte in den Biologiestunden, mich mit dem Marxismus-Leninismus vertraut zu machen“, erinnerte Kühne, der seinen ehemaligen Schulkameraden folglich mit den Worten ankündigte: „Es ist immer ein – naja – besonderer Genuss Dir zu lauschen, aber man weiß nie, was kommt.“ Offenbar schätzt der Unternehmer, Kopf des international agierenden Logistikunternehmens Kühne + Nagel, das Risiko. Mit der Unterstützung des Lesefestivals betritt seine Klaus-Michael Kühne Stiftung Neuland – dank des Engagements der hamburgischen Kultursenatorin. „Ihre Überredungskünste sind legendär“, bescheinigte Kühne der Senatorin, deren Einsatz in diesem Fall 500.000 Euro wert ist. „Ein besonders großzügiges und mutiges Geschenk für die greise Kunst der Literatur“, bestätigte Karin von Welck schmunzelnd, die sich ihrerseits von der „Umsetzungswucht“ der Veranstalter bestätigt fühlte und sich eine nachhaltige Wirkung auf das literarische Leben Hamburgs erhofft.
Umfangreiche Unterstützung auf einer breiten Basis haben die Festivalorganisatoren erfahren, die 85 Lesungen an 25 Orten im und um den Hafen auf die Beine gestellt haben. 99 Autorinnen und Autoren aus 15 Ländern sind bis zum 19. September dabei. Programmhighlights in den folgenden Tagen werden unter anderem Veranstaltungen mit Cornelia Funke, Daniel Kehlmann, Elke Heidenreich, Simon Beckett, Siegfried Lenz, Richard David Precht, Hellmuth Karasek und Daniel Hope sein. Als Partner tritt die Buchhandlung Heymann auf, das Hamburger Abendblatt und NDR Kultur sind Medienpartner. Erwartet werden bis zu 20.000 Besucher. Bis gestern Abend waren 13.000 Tickets verkauft. „55 Euro hätte kalkulatorisch eine Eintrittskarte kosten müssen. Dank der Unterstützung können wir sie für 8 bis 14 Euro anbieten“, erläuterte Nikolaus Hansen, bevor er den „leicht verbürgerlichten Biermann“ auf die Bühne bat. Was jener unkommentiert ließ. Nach dem Auftritt ging es noch weiter auf den Frachter Cap San Diego, wo die Salon-Bar allabendlich als zentraler Treffpunkt von Autoren, Moderatoren und interessierten Festivalgästen dient.