Poeten und Moneten: Ein Fest des Buches für Erlangen

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Vorausschicken muss ich, dass ich kein Franke bin. Ich komme aus der Nähe von Köln und studiere seit 2005 in Erlangen. Bis dahin hatte ich nie etwas vom Erlanger Poetenfest gehört. Erst im letzten Jahr, als eine Freundin und Buwi-Kommilitonin das Fest als Praktikantin mitorganisierte, rückte es in meinen Fokus und ich bekam eine Vorstellung, was es damit auf sich hat. Am Ende dieses Sommers habe ich gleich zwei Sichtweisen gewonnen: die des Praktikanten und die des Buchwissenschaftlers.

Bodo Birk, seines Zeichens Festivalleiter, und sein Team des Kulturprojektbüros (ausnahmslos Geisteswissenschaftler/-innen!) organisieren für die Stadt Erlangen die drei großen kommunalen Festivals: jährlich das Poetenfest, in geraden Jahren den Internationalen Comicsalon und in ungeraden das Figurentheaterfestival. Dazu kommen Veranstaltungsreihen wie ‚seiten sprünge – Autoren in der Stadt‘ und ‚Kulturdialoge‘ sowie das Comiczeichner-Seminar. Ab dem ersten Tag wurde ich vom Team als selbständiger Kollege behandelt und mit eigenen Aufgaben betraut: die Verwaltung der Handzettel, der Vertrieb des Programmheftes, die Bestückung der Infostände für die Festivaltage und die Mitarbeit an der Füllung der Website fielen mir zu. Trotz Stress und den eigenen wartenden Arbeiten nahm man sich Zeit für Erklärungen und sparte nicht mit Lob. Allerdings merkte ich nach den ersten Tagen auch, dass die Kollegen angespannter wurden, je näher das Festival rückte. Und ich fragte mich, ob es wirklich nötig ist, Abende und Wochenenden teils im Büro zu verbringen und so viel freie Zeit zu opfern, nicht zu sprechen von den Samstagsschichten am Infostand in der Fußgängerzone Wochen vor dem Ereignis (wobei ich persönlich nur von letzterem betroffen war).

Ein Chauffeur für den Plakat-Präsidenten


Vieles verstand ich erst, als es soweit war und das Poetenfest begann: Wenn man solche Events organisiert, sind dies die entscheidenden Tage, für die das Team wochenlang gearbeitet hat. Für mich ging es von Donnerstag bis Sonntag hauptsächlich darum, die Infostände an den Veranstaltungsorten Schlossgarten, Markgrafentheater und Redoutensaal in Schicht mit anderen Helfern zu betreuen und täglich die Pressewände zu aktualisieren. An den Infoständen verkaufte ich Programmhefte und Solidaritäts-Pins (mit denen die Besucher das Fest mit seinen größtenteils kostenfreien Veranstaltungen unterstützen), beantwortete Fragen, zeigte Wege und wies dem einen oder anderen Literaten den Weg zum Autorentisch am Hauptpodium. Jedoch muss man während des Festivals über die eigenen Aufgaben hinaus ein Alles-Macher, Alles-Könner und In-die-Hand-Nehmer sein. Und da ist es keine Frage, auch mal einen Gast am späteren Abend vom Bahnhof abzuholen. Klaus Staeck, während des Poetenfestes mit einer Ausstellung in den Foyers des Markgrafentheaters vertreten, sollte samt Ehefrau mit dem ICE in Nürnberg eintreffen. Heutzutage ist der Mann, der in den Siebziger- und Achtziger-Jahren mit seinen politischen Plakaten für Aufregung und mit seinen Aktionen für Diskussionsstoff sorgte, Präsident der Berliner Akademie der Künste und trotz Konsumkritik sicher gewohnt, von einem professionellen Fahrer in bequemer Limousine abgeholt zu werden. Eine bequeme Limousine war vorhanden: Ein neuer 5er-BMW mit allen Extras stand bereit und ich fuhr nach einigen Übungsrunden auf dem Parkplatz das erste Mal Automatik. Dazu kam, dass mir im fränkischen Raum die geografische Autofahrer-Perspektive komplett fehlt. Auf dieser Fahrt habe ich Blut und Wasser geschwitzt, einerseits aus Respekt vor der Technik (ich habe es nicht mal geschafft, dass Radio per Joystick am Bordcomputer leiser zu machen), andererseits rechtzeitig da zu sein und die Höflichkeitsformen zu wahren. Nachdem ich das Ehepaar Staeck am Bahnsteig verpasst, aber dann doch in der Halle gefunden hatte, die Vorstellung einigermaßen gelaufen war (meinen Namen hatte ich vergessen zu sagen) und alle gut im Wagen saßen, ließ sich der Automatik-Knüppel nicht lösen und ich versuchte, die peinlichen Minuten zu überbrücken. Dann endlich konnte ich den Startknopf drücken (Zündschlüssel? Nein!) und während ich versuchte, die gefühlt riesige Limousine aus der smart-großen Parklücke zu bugsieren und die Sensoren bedrohlich piepten, beging ich den Automatik-Anfängerfehler und bremste mit dem linken Fuß. Das Auto machte einen Satz und Herr und Frau Staeck nickten heftig nach vorn. Frau Staecks Reaktion: „Klaus, bist Du angeschnallt? Schnall´ Dich besser an!“ ist heute schon ein geflügeltes Wort im Kulturprojektbüro. Ich habe es dann doch noch geschafft, das Ehepaar sicher nach Erlangen ins Hotel zu bringen und während eines gepflegten Gespräches sowohl den Weg zu finden als auch den Wagen zu beherrschen.

Lustkäufe und Lesehelfer

Nach diesem Ende des Samstagabends wurde der Sonntag entspannter und ich hatte die Möglichkeit, trotz meiner Infostand-Schichten einen Rundgang durch den Schlossgarten zu machen und das Autorenporträt des Israelis David Grossman zu besuchen. Tagsüber im Schlossgarten konnte ich sehen, dass das Poetenfest, was schon als „Festival des Lesens“ oder „Woodstock der Literatur“ bezeichnet wurde, v. a. auch ein Fest des Buches ist. Viele Themen, über die wir Studierenden der Buchwissenschaft sprechen, findet auf dem Poetenfest eine praktische Entsprechung, weil die Literatur als Inhalt und das Buch als ihr physischer Träger untrennbar miteinander verbunden sind. Auf dem Hauptpodium lasen Autorinnen und Autoren aus ihren teils unveröffentlichten Werken, davor eine stille Biergartenatmosphäre, in der tausende von Besuchern lauschten. Nach einer halben Stunde enterte der nächste Literat die Bühne, ein neuer Text, ein neues Buch. Statt als Besucher sitzen zu bleiben und dem nächsten zu lauschen, gab es die Möglichkeit, den Autor im Interview auf einem der Nebenpodien zu erleben. Und wie es an einem solche angenehmen Tag oder im Urlaub so ist: Man möchte etwas mitnehmen und einen kleinen Teil der Flaniergefühls in den Alltag retten, und sei es über den Text, dem man eben noch lauschte. So kam es, dass der Bücherstand von Ex Libris-Besitzer Albert Krapf immer von Menschen umringt war und nahezu niemand, der einmal seinen Blick über die feil gebotenen Titel streifen lies, nicht auch mit einer grauen Papiertüte den Stand verlies. Hier war wirklich jeder Kauf der Lust geschuldet. Auch die Leseförderung fängt auf dem Poetenfest im ganz frühem Alter an, rund um die Bilderbuchleseecke, das Junge Podium oder das der ‚Raupe Nimmersatt‘ gewidmete Zelt, sah man hunderte Kinder allein oder mit einem Erwachsenen in den inflationär vorhandenen bunten Kladden blättern.

Ich bin sicher, so etwas würde nicht in allen Städten funktionieren: Die Erlanger Familien verdienen so gut wie sie gebildet sind und es lassen sich sicher nur die Eltern mit ihren Kind zum Vorlesen auf dem Rasen nieder, für die der Umgang mit Büchern vorher schon selbstverständlich war. Dies ist einer der vielen Punkte, in dem auch nach 30 Jahren noch Potenzial im Poetenfest steckt: auch bildungsferne Familien in den Schlossgarten zu holen. Dies könnte eines der Argumente für Bodo Birk sein, der in diesen Tagen mit der Kämmerei der Stadt über den Poetenfest-Etat für 2010 zu verhandeln hat. Dieser wird schrumpfen, das ist heute schon klar. Nun, fast am Ende des Praktikums, verstehe ich auch die Anspannung des Organisationsteams im Vorfeld: Ich hätte vorher nicht gedacht, wie viele Fäden zusammen laufen und kleine Räder ineinander greifen müssen, damit 12.000 Besucher in über 30 Programmpunkten mit über 100 Mitwirkenden und Helfern Poetisches genießen können. Und nun weiß ich auch, warum der Anspruch des Teams und der persönliche Zeitaufwand so hoch sind. Dies geschieht nicht nur aus reiner Selbstverwirklichung, sondern aus einer Identifikation mit der Idee des Poetenfestes heraus: Das Team muss ein verdammt gute Festival-Bilanz vorweisen, um den Entscheidern der Kämmerei zu zeigen, was viele der der regelmäßigen Besucher schon wissen: Das Poetenfest hat für Erlangen einen Wert, der nicht in Euro gemessen werden kann.