Bücher statt Steuern

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Hand hoch, wer besondere Sympathien für das Finanzamt hegt. Aha, dachte ich mir schon, das da nicht viel bei rauskommt. Nein, Sie müssen sich jetzt nicht grämen oder gar schämen: Obwohl kein anderes Land so durchgedrehte Steuergesetze hat wie wir, befinden Sie sich mit ihrem Sympathiemangel international unter Gleichgesinnten.
Aus Mexiko kommt allerdings jetzt eine Idee, die wenigsten unsereinen, der Bücher an und für sich ziemlich wichtig findet, aufheitert. Dort nämlich hat die Regierung des „Distrito Federal“, will sagen die Verwaltung von Mexiko-Stadt, beschlossen, dass bis zu fünf Prozent der Einkommenssteuerschulden mit Bücherspenden abgegolten werden können. Dazu gibt es Sammelstellen, die die nicht mehr geliebten Schwarten annehmen und an Schulen verteilen.
Die Idee ist originell und wir loben sie in den höchsten Tönen. Die Regierung spart einiges an Geld für die Anschaffung von Büchern, und die bedürftigen Schüler und vor allem ihre Eltern, denen häufig die Lesefähigkeit aus Mangel an Lesestoff über den Deister geht, dürften höchst dankbar sein.
Überhaupt hat man sich in Mexiko in den vergangenen Jahren eine Reihe von Dingen einfallen lassen, um die Leskultur zu stärken. An erster Stelle ist dabei das Ankaufprogramm für Kinder- und Jugendbücher zu nennen: Rund 600 Titel werden dabei jedes Jahr in großer Auflage von der Zentralregierung angekauft und kostenlos an Schulen verteilt. Davon profitieren natürlich die mexikanischen Verlage. Aber auch außerhalb Mexikos sind die Folgen spürbar: Dieses Programm hat aus dem Stand einen florierenden Lizenzhandel entstehen lassen, der vielen Verlagen – auch aus Deutschland – den Zutritt zum größten spanischsprachigen Markt der Welt geöffnet hat. Und es ist ein Grund dafür, warum die Buchmesse in Guadalajara in den vergangenen Jahren sogar Frankfurt als Treffpunkt für die spanischsprachige Bücherwelt überflügelt hat.
Auch auf andere Weise nutzt man in Mexiko Bücher zur Förderung der Zivilgesellschaft. So hat die Polizeiverwaltung von Mexiko-Stadt vor einigen Jahren verpflichtende Leseklubs für ihre schwer unterbezahlten und noch schwerer von Korruption verlockten Mitarbeiter eingerichtet. Für viele der Polizisten war die Begegnung mit den Büchern von Fuentes, Garcia Marquez und anderen der erste Einblick in eine Welt, in der menschliche Konflikte nicht nur mit Gewalt ausgetragen werden können. Das Resultat, so stand in mexikanischen Zeitungen zu lesen, sei überaus positiv gewesen: In den Stadtteilen, in denen die Leseklubs entstanden, seien die Übergriffe der Polizei gegen die Bevölkerung zum Zwecke von Schutzgelderpressung und anderen Widerwärtigkeiten deutlich zurück gegangen.
Diese Wertschätzung für die gesellschaftliche Bedeutung von Büchern ist natürlich formidabel. Nachahmung wäre empfehlenswert. Allerdings dürfte bei uns in dieser Beziehung wenig zu erwarten sein. Nicht einmal das Beispiel der Briten und anderer Freunde in der EU, die eine Mehrwertsteuer auf Bücher als Steuer zur Förderung der Volksdummheit verstehen und sie deshalb selbstverständlich nicht erheben, hat Chancen auf Beachtung. Wo käme man dann erst hin, wenn ausgerechnet eine Idee aus Mexiko Schule machen würde?