EU-Projekt

Die Schönsten Bücher werden digitalisiert

23. Juli 2015
von Börsenblatt

Im Rahmen des EU-Projekts ARROW will die Deutsche Nationalbibliothek die Schönsten Bücher digitalisieren. Die von der Stiftung Buchkunst prämierten Titel (rund 5000 Bände) dienen als Testballon für die Rechte-Klärung bei vergriffenen und verwaisten Werken. Ein Interview mit Ines Kolbe und Thomas Jaeger, die das Vorhaben bei der Deutschen Nationalbibliothek betreuen.

Ist es nicht paradox, dass ausgerechnet die Schönsten Bücher, die für ihre Haptik, ihre Gestaltung prämiert werden, zum digitalen Pilotprojekt werden? Warum haben Sie sich gerade dieses Archiv ausgesucht?

Jaeger: Die prämierten Titel aus der Sammlung der Schönsten Bücher zeigen das ganze Spektrum der deutschen Buchproduktion der vergangenen 80 Jahre. Es sind ja nicht nur Werke der Buchkunst im engeren Sinne dabei, sondern auch besonders hochwertig und attraktiv gemachte Ausgaben von Belletristik oder Fachliteratur unterschiedlichster Themenbereiche. Nicht zuletzt spiegelt der Wettbewerb auch die jeweiligen historischen und politischen Rahmenbedingungen in Ost- und Westdeutschland wider

Kolbe: Natürlich kann ein Digitalisat niemals das Original vollständig ersetzen. Die Oberfläche des Papiers und des Einbands, aber zum Beispiel auch die buchbinderische Arbeit, können durch ein elektronisches Medium nur schwer vermittelt werden. Aber die Buchgrafik, die Fotografien, die Satzgestaltung, das sind Dinge, die auch in der digitalen Version sichtbar bleiben. Vielleicht wird dadurch ja mancher Betrachter dazu angeregt, einmal das „richtige" Buch in die Hand zu nehmen.

Um wie viele Werke geht es? Und wo beginnen Sie mit der Digitalisierung – bei den alten Werken aus den 30er Jahren oder bei den aktuellen, bei denen die Rechte relativ einfach zu klären sein dürften...

Kolbe: Die Wettbewerbe, die heute von der Stiftung Buchkunst durchgeführt werden, fanden erstmals in den Jahren 1929 bis 1932 statt, dann wieder ab Anfang der fünfziger Jahre parallel in der Bundesrepublik und der DDR. Seit 1990 gibt es eine gesamtdeutsche Auswahl. Insgesamt sind dabei bis heute 5.140 Titel von 1.360 Verlagen ausgezeichnet worden. Davon muss man für unser Projekt noch ca. 500 Titel abziehen, die heute noch lieferbar sind und die wir deshalb von vornherein ausgenommen haben. Wir werden bei der Klärung der Rechte nicht chronologisch vorgehen, sondern wir haben für jeden Verlag ein „Paket" von Titeln geschnürt, mit denen er im Wettbewerb vertreten war. Wir wollen zunächst bei etwa 30 großen Verlagen anfragen, die jeweils zwischen 25 und 150 prämierte Titel hatten, dann folgen ca. 300 Verlage mit weniger als 25 Titeln, und zuletzt fragen wir die über 1.000 Verlage, von denen nur ein Titel ausgezeichnet wurde. Dieser Teil wird für uns der aufwändigste werden.

Sie wollen bei dem Projekt vor allem die Probleme bei der Digitalisierung verwaister Werke durchspielen. Was sind die Hürden? Welche Schlüsse können und werden Sie aus dem Pilotprojekt ziehen – eine Standardisierung solcher Prozesse?

Kolbe: Zunächst versuchen wir stets, eine Ansprechperson in dem Verlag zu finden, der das Buch herausgebracht hat. Wir hoffen, von möglichst vielen Verlagen eine Genehmigung zur Digitalisierung und anschließenden kostenlosen Bereitstellung der digitalen Ausgabe zu bekommen. Häufig handelt es sich ja um lange vergriffene Titel, an denen vermutlich kein kommerzielles Interesse mehr besteht. Wenn es den Verlag nicht mehr gibt, recherchieren wir seinen Rechtsnachfolger und kontaktieren ihn. In den Fällen, wo wir nicht fündig werden, müssen wir uns direkt an den oder die Autorinnen und Autoren wenden. Das machen wir auch dann, wenn wir zwar einen Verlag finden, aber dieser uns die Rechte zur Digitalisierung gar nicht erteilen kann, weil er sie zum Beispiel selbst nicht hat.

Jaeger: Die Suche nach den Autoren kann natürlich eine große Hürde darstellen und ist mit hohem Aufwand verbunden. Und wir werden dabei mit Sicherheit auf eine Anzahl verwaister Werke stoßen, also solche, bei denen auch durch eine sorgfältige Suche kein Rechteinhaber mehr ausfindig gemacht werden kann. Aber das Ziel dieses Musterfalls soll ja gerade auch sein, hier praktische Erfahrungen zu sammeln, um den Aufwand und die möglichen Ergebnisse einer solchen Suche besser einschätzen zu können. Das kann dann durchaus zu einer Standardisierung dieser Abläufe genutzt werden, im Rahmen des EU-Projekts ARROW, aber auch speziell auf die Situation in Deutschland bezogen.

Kolbe: Wir arbeiten zurzeit mit dem Börsenverein und der VG Wort parallel dazu an einem Internetportal, über das solche Rechteklärungsprozesse standardisiert und automatisiert ablaufen sollen.

Sie erhoffen sich dadurch auch Aufschlüsse, in welcher Größenordnung sich die Zahl "verwaister Werke" bewegt. Kann die Sammlung der Schönsten Bücher denn hier repräsentativ sein?

Jaeger: Die Schätzungen über den Anteil verwaister Werke gehen teilweise weit auseinander. Das bewegt sich zwischen 5 Prozent und ca. 40 Prozent aller urheberrechtlich geschützten Titel. Im Bereich der Fotografie wird sogar von bis zu 90 Prozent gesprochen. Es wäre ein großer Fortschritt, wenn man hier konkretere Zahlen vorliegen hätte. Die Sammlung der Schönsten Bücher ist mit über 5.000 Titeln umfangreich genug und zudem auch thematisch und chronologisch ausreichend weit gefächert, um repräsentativ zu sein. Wegen der aufwändigen Machart der Bücher dürfte sie aber tendenziell eher einen „worst case" darstellen, denn es muss gegebenenfalls nicht nur der Autor oder Übersetzer eines Texts um die Nutzung seiner Rechte gefragt werden, sondern auch der Illustrator, der Fotograf, der Einbandgestalter und möglicherweise noch weitere Beteiligte.

Was wird das Ganze kosten? Und wie viel steuert die EU im Rahmen von ARROW bei (Kurzform für: Accessible Registries of Rights Information and Orphan Works towards Europeana)?

Jaeger: Mit der Rechteklärung sind an der Deutschen Nationalbibliothek zwei Projektmitarbeiter beschäftigt. Die Stellen werden im Rahmen des Projekts ARROW von der Europäischen Kommission mit 50 Prozent kofinanziert. Die anschließende Digitalisierung wird allerdings nicht aus Projektgeldern bezahlt, sondern muss von uns selbst getragen werden. Die Höhe dieser Kosten wird natürlich ganz stark davon abhängen, für wie viele Titel wir am Ende vom Rechteinhaber eine Genehmigung bekommen. Das kann man momentan schwer abschätzen. Da für die sehr anspruchsvoll gemachten Bücher nur eine hochwertige Digitalisierung in Frage kommt, gehen wir bei den Digitalisierungskosten von durchschnittlich 60 Euro pro Buch aus.

Wer ist Ihr Digitalisierungspartner – oder übernimmt die Deutsche Nationalbibliothek das selbst?

Kolbe: Üblicherweise lassen wir Digitalisierungsprojekte von externen Dienstleistern ausführen, die durch ein Vergabeverfahren bzw. eine öffentliche Ausschreibung ausgewählt werden.

Die Digitalisate sollen bei "Europeana" eingespeist werden. Sind die Schönsten Bücher der "Input", den die digitale Großbibliothek braucht?

Kolbe: Laut der aktuellsten Statistik bietet die Europeana momentan Zugriff auf 4,6 Millionen digitaler Objekte. Bis 2010 sollen es 10 Millionen sein. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, muss sehr schnell sehr viel Content bereitgestellt werden. Die Sammlung der Schönsten Bücher macht hier bestimmt nicht die Masse, sondern ist eine vergleichsweise kleine aber feine Kollektion. Aber es ist ein Schritt, dem viele weitere folgen müssen. Und wenn man in Betracht zieht, dass heute zum Beispiel fast 50 Prozent der Inhalte der Europeana aus Frankreich kommen, aber bislang nur 15 Prozent aus deutschen Quellen, so sollten wir uns in Deutschland durchaus angespornt fühlen, hier ein wenig aufzuholen.

 Sie hoffen, dass möglichst viele Verlage ihre Zustimmung zur Digitalisierung der Schönsten Bücher geben werden. Was können Sie Ihnen im Gegenzug bieten? Und wie ist es um den Kopierschutz bei "Europeana" bestellt?

Jaeger: Gleich vorweg gesagt: Geld können wir nicht bieten. Es geht uns darum, das kulturelle Erbe zu erhalten und in einer zunehmend digitalen Gesellschaft sichtbar und zugänglich zu machen. Natürlich muss dabei das Interesse der Rechteinhaber gewahrt bleiben und das Urheberrecht respektiert werden. Wir arbeiten an einem Vertragsentwurf, der das sicherstellt. Was einen Kopierschutz angeht, so wird der nicht von der Europeana bereitgestellt, sondern gegebenenfalls vom Anbieter des Digitalisats. Die Europeana ist ja nur das Zugriffsportal auf Inhalte, die aus ganz verschiedenen Quellen stammen. Die Deutsche Nationalbibliothek wird nur Digitalisate zur Verfügung stellen, die sie kostenfrei und ohne Kopierschutz anbieten darf.