Sage niemand, die Ballung von Dresdner Autoren im Steidl Verlag wäre einer pfiffigen Buchhändlerin wie Susanne Dagen nicht aufgefallen. Als jedoch Steidl-Pressefrau Claudia Glenewinkel anklopfte, ob man sich nicht eine Lesung der Lokalmatadoren vorstellen könne, reagierten Dagen und ihr Partner Michael Bormann reserviert. Wer Monat für Monat mit einem profilierten Veranstaltungsprogramm aufwartet, muss sehr genau abwägen, wie er sein Angebot unverwechselbar macht.
Die Steidl-Belletristen jedenfalls sind in Dresden häufiger zu erleben – verständlich, dass sich das Buchhändler- Duo einen Tag Bedenkzeit erbat. Ein Tag, an dem Susanne Dagen nicht an Literatur dachte. Sondern an all die handwerklich perfekten, oft preisgekrönten Bände aus Steidls international ausgerichtetem Fotobuch-Programm. Normalerweise können Dagen und Bormann nur einen Bruchteil dieses Schlaraffenlands zeigen – Sortimenter-Alltag.
Bücher zum Anfassen
Wie aber wäre es, die kunstsinnige Kundschaft einmal unlimitiert in den Steidl-Schätzen stöbern zu lassen? Eingeleitet von einer hochkarätigen Veranstaltung? Man muss kein Filialist sein, um größer zu denken. Beim Verhandeln mit den Göttingern war Dagen nicht Bittsteller, sondern verließ sich selbstbewusst auf ihr schlüssiges Konzept: keine kleine Steidl-Ecke, sondern die Komplettverwandlung des von den Buchhändlern in eigener Regie betriebenen KulturHauses Loschwitz in eine Bibliothek. Bücher zum Anfassen, Versinken, Lesen, die man in Dresden üblicherweise nicht in die Finger bekommt. Dazu die umfassende Präsentation von Steidl: als Verlag, Druckerei, noch immer selbstständiges Unternehmen. Wichtiger noch als die E-Mails zwischen Dresden und Göttingen war Steidl-Vertreter Thorsten Spitta, der im Verlag für das Projekt warb.
Zur Eröffnung der temporären Steidl-Bibliothek diskutierten Claudia Glenewinkel und Lektor Jan Strümpel mit dem Publikum über Independent-Buchproduktion in Zeiten des Informationsüberflusses; am Abend lasen Autoren, musikalisch begleitet, bis tief in die Nacht redete man sich bei Elbwein die Köpfe heiß: auch darüber, wie mit Fantasie und Goodwill aller Beteiligten aus einer simplen Gruppenlesung ein unvergessliches Ereignis werden kann. Sogar mit nachhaltiger Wirkung: die Bücherschätze im Wert von 8 000 Euro als Schenkung von Verlag und Buchhandlung an die Städtischen Bibliotheken Dresden, die sie sechs Wochen präsentierten. Tue Gutes und rede darüber: Inzwischen hat die Arno-Schmidt-Stiftung in Loschwitz angeklopft, auch weitere Verlage zeigen sich interessiert an "ganzheitlicher" Präsentation.