Studie E-Books und E-Reader: Marktpotenziale in Deutschland

23. Juli 2015
Tamara Weise
Lesegeräte für E-Books zu nutzen könnte eines Tages so normal sein wie das Warten auf die nächste U-Bahn. Eines Tages? Die Berater von Kirchner + Robrecht haben genauer über Zeiträume und Marktpotenzial nachgedacht. Ihre Zahlenspiele.

Lesegeräte für digitale Bücher zu verkaufen – das ist schon mehrfach versucht worden, bislang allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Seit Mittwoch dieser Woche präsentieren nun bundesweit rund 450 Buchhandlungen den Sony PRS 505 – seit Donnerstag beliefert die MVB den Buchhandel mit dem CyBook von Bookeen und dem iLiad von iRex. Der Markt hält noch andere Geräte bereit, und weitere sollen folgen, während die Zahl der verfügbaren Inhalte wächst und wächst ...

Für großen Sprung reicht es noch nicht

Das Angebot ist also da. Und die Nachfrage? Ist die Zeit, wie von den Herstellern gern betont wird, tatsächlich reif für E-Reader? Die Unternehmensberater von Kirchner + Robrecht aus Frankfurt äußern sich eher vorsichtig. E-Reader würden 2009 in Deutschland zwar einen neuen Anlauf nehmen – für den großen Sprung sei es, "trotz des derzeitigen Hypes", aber noch zu früh, konstatieren sie einer Studie, die am heutigen Donnerstag veröffentlicht wird und die dem Börsenblatt vorab exklusiv vorlag ("E-Books und E-Reader: Marktpotenziale in Deutschland"; kostenlos zum Download: www.kirchner-robrecht.de). Die Prognose von Kirchner + Robrecht liefert ganz konkrete Zahlen (siehe Grafik).

Sie orientiert sich an den Buchtypen, die in der Börsenvereinsstudie "Buchkäufer und Leser 2008" vorgestellt werden – und bezieht die Absatzentwicklung anderer technischer Erfindungen mit ein, die heute zwar gemeinhin Standard sind, aber keineswegs über Nacht Erfolg hatten. Gemeint sind DVD-Player, Mobiltelefone, MP3-Player und Navigationsgeräte. Ausgewertet wurden die gesammelten Daten in Anlehnung an die sogenannte Diffusionstheorie – eine gängige Methode, um herauszufinden, wie und wie schnell sich zum Beispiel neue Ideen oder Produkte durchsetzen.

Marktvolumen von 18,8 Millionen werden erwartet

Smartphones oder Netbooks spielen in der Analyse der Berater keine Rolle, genauso wenig wie das Geschäft mit Firmenkunden. Kirchner+ Robrecht beleuchten ausschließlich das Potenzial von E-Readern im engeren Sinn – für den privaten Einsatz. Insgesamt stellen sie 19 mobile Lesegeräte vor, auch solche, von denen bisher noch keiner weiß, wann sie in Deutschland verfügbar sein werden (unter anderem Amazons Kindle 2, der Readius von Polymer Vision). Für all diese E-Reader rechnen sie eines fernen Tages mit einem möglichen Marktvolumen von 18,8 Millionen Stück, was letztlich bedeuten würde: Etwa jeder zweite Buchkäufer – laut GfK waren das 2007 über alle Vertriebskanäle hinweg 35,3 Millionen Bundesbürger – schafft sich auf längere Sicht einen E-Reader an. Von den acht definierten Buchtypen kommen Kirchner+ Robrecht zufolge drei als Zielgruppe infrage:

  • ausleihende Leseratten (Personen, die mehr Bücher lesen als kaufen)
  • Durchschnittsnutzer (Personen, die pro Jahr acht bis 14 Bücher kaufen und neun bis 18 Bücher lesen)
  • kauffreudige Leseratten (Personen, die mindestens 15 Bücher pro Jahr kaufen und lesen).

Ein Potenzial von bis zu 19 Millionen E-Reader-Käufern? Die Zahl führt einmal mehr vor Augen, wie tiefgreifend der Wandel für die Branche sein könnte. Um zu beschreiben, mit welcher Geschwindigkeit Neues angenommen wird, unterscheidet die Diffusionstheorie zwischen fünf (idealtypischen) Gruppen: Innovatoren,
frühen Adoptoren, der frühen Mehrheit, der späten Mehrheit und den Nachzüglern. Wichtig für den Markterfolg sind die Innovatoren (risikobereit, finanziell unabhängig, technisch interessiert) und die frühen Adoptoren (Meinungsführer). Zusammen erreichen sie einen Marktanteil von 16 Prozent – und das entspricht, so will es zumindest die Theorie, der kritischen Masse. Kirchner + Robrecht sieht diese kritische Masse in puncto E-Reader bei rund drei Millionen Geräten. Im besten Fall ließe sich diese Schwelle bis 2013 erreichen. Wahrscheinlich dauere es aber länger – bis 2015. Wann das Marktpotenzial von 18,8 Millionen E-Readern ausgeschöpft sein könnte: Dazu äußern sich die Verfasser der Studie nicht.

Wie viele E-Books werden gekauft?

Ob Innovator oder Nachzügler: Wie viele E-Books kauft der, der ein Lesegerät besitzt? Auch dazu gibt es eine Modellrechnung: Im schlechtesten Fall würden Privatkunden im Schnitt fünf E-Books pro Jahr erwerben– im besten Fall 20. Der mittlere Fall geht von elf verkauften E-Books aus. Die Schätzungen liegen also weit auseinander. Für die Zeit bis 2015 ermittelten die Berater folgende Absatzprognose:

  • Im schlechtesten Fall könnten bis Mitte 2010 etwa 380 000 E-Books verkauft werden, bis 2013 würde die Zahl auf 3,2 Millionen steigen – und 2015 mit 15 Millionen einen ersten Höhepunkt erreichen.
  • Im mittleren Fall wird diese Grenze ein Jahr zuvor geknackt. Bis 2015 ließe sich die Zahl der verkauften digitalen Bücher dann auf etwa 33,1 verdoppeln, meinen die Berater. Bis Mitte 2010 rechnen sie mit 830 000 verkauften E-Books.
  • Im besten Fall überspringt die Branche schon im Jahr eins nach dem Start der E-Reader-Offensive die Millionengrenze (bis Mitte 2010: 1,5 verkaufte E-Books), 2013 könnten 12,8 Millionen abgesetzt werden, zwei Jahre später 60,2 Millionen.
Eine repräsentative Umfrage unter 1001 Deutschen ab 14 Jahren, die der Branchenverband Bitkom zu Jahresanfang bei Forsa in Auftrag gegeben hatte, endete übrigens mit dem Ergebnis: 2,2 Millionen wollen sich
2009 ein E-Book anschaffen. Kurzum: Denkbar ist vieles. Prognosen sind hilfreich, können den Akteuren aber die Unsicherheit nicht nehmen. Der Deutschlandstart des Kindle 2 dürfte die Karten ohnehin noch mal
ganz neu mischen ...