Die Osterbekstraße, die parallel zu einem Kanal verläuft (gleichzeitig Hamburgs alter Zollgrenze), ist ein ungewöhnlicher Standort für ein auf wertvolle Bücher und Grafik spezialisiertes Auktionshaus. Selbst vom Hauptbahnhof aus lässt sich aber Christian Hesses neues Domizil in einem – ausgedehnten – Spaziergang an der Außenalster entlang noch zu Fuß erreichen, und das einheimische Publikum wird sich spätestens beim nächsten Termin im November an die Anfahrt gewöhnt haben. Bei der Auktionspremiere Hesses am gestrigen Samstagnachmittag war der kleine Saal jedenfalls bis auf den letzten Platz besetzt.
Schwerpunkt 19. und 20. Jahrhundert
Christian Hesses Unternehmen ist, aufs Ganze gesehen, geglückt. Zwar gab es bei dieser Auktion 1 gleich am Anfang gewichtige Ausfälle (unter den Alten Drucken Zuschläge eigentlich nur für Faksimileausgaben). Im Verlauf der Versteigerung änderte sich aber das Bild, bei überwiegend moderaten Schätzpreisen, zum Teil deutlich. Die höchsten Zuschläge wurden für Ilya Zdanewitchs "Poésie de mots inconnus", Joan Miró und Pablo Picasso erzielt (Katalognummern 246, 295 und 299, 13.000, 32.000 und 55.000 Euro), aber auch im vierstelligen Bereich tat sich immer wieder Erfreuliches. Interesse gab es, um Beispiele zu nennen, für Friedrich Nietzsche – die kleine Nietzsche-Abteilung, bestehend aus fünf Katalognummern, wurde komplett verkauft, darunter auch die 23-bändige Musarionsausgabe, die mit 1.000 Euro den Schätzpreis erzielte (Nr. 109). Auch für Theodor Storm konnte sich das Publikum erwärmen, eine Sammlung von Storm-Erstausgaben stieg sogar auf 1.700 Euro (Nr. 96).
Schwitters und Schwimmer
Streckenweise ergaben sich aus der Versteigerung interessante Aufschlüsse darüber, was "geht" (und was nicht). Ein Widmungsexemplar von Ernst Jüngers "In Stahlgewittern" wurde für 5.500 Euro abgegeben (Nr. 146, Schätzpreis 4.500 Euro). Einbände: sehr uneinheitlich. Hermann Hesse: uneinheitlich. Unverkauft blieben die 50 Briefe Alfred Kubins (Nr. 265), dasselbe Schicksal betraf Sigmund Freud und Thomas Mann (Nrn. 142 und 204). Bilibin (Nrn. 113 bis 118) fiel komplett durch, ebenso die Jahrgänge der Zeitschrift "Genius" (Nrn. 225 bis 227). Auch für das Gegenteil gibt es jedoch schöne Beispiele, mehrfach erwiesen sich die Schätzungen als zu zurückhaltend: Kurt Schwitters' "Memoiren Anna Blumes in Bleie" stiegen auf 1.300 Euro (Nr. 236, Schätzpreis 300 Euro). Eine Zusammenstellung von Bauhaus-Ephemera brachte 2.300 Euro (Nr. 257, 300 Euro). Für Heinrich Heines "Deutschland ein Wintermärchen" mit Illustrationen von Max Schwimmer wurden stolze 1.100 Euro bewilligt (Nr. 309, 300 Euro).
Kunst, Kunst, aber kein Interesse an Hamburgensien
Das Fazit: Christian Hesse darf sich durch den Ausgang seiner Premiere ermutigt fühlen, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Die zweite Auktion ist auf den 11. November angesetzt (direkt vor Eröffnung der Hamburger Antiquariatsmesse quod libet); man darf gespannt sein, welche Akquise-Schlüsse Hesse aus den gestrigen Erfahrungen zieht.
Der Berichterstatter bedauert nur, dass einige interessante kleine Stücke mit Hamburg-Bezug, etwa die günstig angesetzten Briefe an den Hamburger Staatsanwalt Ernst Buchholz (Nr. 311) oder die originellen Zeichnungen von Hellmut Maenner Yo aus der frühen Nachkriegszeit (Nr. 308), in der Auktion keine Liebhaber fanden. Aber das kann sich ja im Nachverkauf, der ab sofort bis 31. Mai läuft, noch ändern; die Ergebnisliste steht inzwischen im Netz (siehe den unten angegebenen Link).
bie