Meinung

Abschied vom Mythos "branchenfremd"

10. Oktober 2010
Redaktion Börsenblatt
Ergibt es Sinn, die Betreiber wichtiger Absatzkanäle für die Mehrheit der Antiquare als "branchenfremd" zu bezeichnen? Anmerkungen anlässlich eines Workshops auf der Frankfurter Buchmesse.

Der Online-Antiquariatshandel hat, das ist eine Binsenweisheit, das Gesicht des Branchenzweigs innerhalb weniger Jahre nachhaltig und unwiderruflich verändert. Während eine Gruppe von Antiquaren (die Minderheit?) nach wie vor erfolgreich auf individuelle Kundenbeziehungen inkl. der sorgfältigen Pflege einer Kundenkartei, Kataloge, Antiquariatsmessen, einen eigenen Webshop oder ein Ladengeschäft setzt, haben sich andere auf Gedeih und Verderb den "Plattformen" ausgeliefert. Ein Paradox: gerade in der zweiten Gruppe – deren Angehörige oft überhaupt erst durch die niedrigen Einstiegshürden des Online-Handels angelockt wurden – gibt es einen Trend, bestimmte Plattform-Betreiber als "branchenfremd" zu kennzeichnen.

Eine solche diskriminierend gemeinte Kennzeichnung – oft nur Ventil für aufgestauten Anbieter-Unmut und höchst ungleich verteilt – scheint aber sachlich unangemessen. Das zeigte in eindrücklicher Weise der Workshop der AG Antiquariat im Börsenverein im Rahmen der Frankfurter Buchmesse – im Vordergrund standen hier zwei Stunden lang Suchmaschinenoptimierung, Kreditkartenabrechnung, verschiedene Einstellgebührenmodelle, faire Bewertungssysteme und die Vorzüge und Nachteile bestimmter Marketingmaßnahmen (z. B. Gutschein-Aktionen). Beim Thema Suchmaschinenoptimierung konnten etwa die beiden Booklooker-Vertreter Jens Bertheau und Daniel Conrad, die für ihre Plattform noch nie das Prädikat "Antiquarisch" in Anspruch genommen haben, auf erhebliche Erfolge verweisen. Für den Anbieter auf der Plattform ergeben sich aus solchen Aktivitäten naturgemäß eigene wirtschaftliche Vorteile – und genau deshalb sind sicher immer mehr Antiquare bereit, sich auf Booklookers Geschäftsmodell einzulassen (zumal es hier, anders als bei den meisten Plattformen, keine Einstellgebühren, sondern lediglich eine Verkaufsprovision von 8 oder 10 Prozent gibt).

 

Vertriebspartner-Orientierung und Lobbyarbeit sind das Gebot der Stunde

Eine Fazit aus solchen Workshop-Beobachtungen, denen mühelos einige weitere hingeführt werden könnten: Statt von vermeintlich "Branchenfremden" zu sprechen und sich damit quasi selbst den Zugang zum Thema zu verstellen (das Betreiben eines technisch zeitgemäßen Verkaufsportals im Netz setzt natürlich ganz andere Fachkenntnisse voraus als das erfolgreiche Agieren als Antiquariatsbuchhändler, und "Plattformen" haben immer andere Interessen als die einzelnen Anbieter, gleich wer sie betreibt), sollten eher die wirtschaftlichen Zusammenhänge und bestehenden Interessengegensätze des Online-Handels gesehen werden. Einschließlich der Notwendigkeit für professionelle Antiquare, die eigenen Interessen deutlicher zu artikulieren und möglichst wirksam politisch durchzusetzen. Dank der konstruktiven Gesprächsbereitschaft und Offenheit der Frankfurter Workshop-Teilnehmer – und zwar auf beiden Seiten – ist das nun vielleicht klarer zu erkennen als zuvor.

bb