In einem Interview mit Daniel Osthoff (in Heft 5/2012 der Zeitschrift "Aus dem Antiquariat") äußert dieser die Überzeugung, dass die Antiquare heute (in Zeiten des Internets) "mehr denn je auf den Kunden zugehen" müssten, und dass dies mit den "traditionellen Mitteln wie Kataloge, Listen, Messen" am deutlichsten und effektivsten funktioniere.
Der hier besprochene Katalog 80 des Antiquariats Geisenheyner kann das auf schönste Weise belegen. Geisenheyner hat sich durch die Jahre, bei selbstverständlich auch kluger Nutzung der Internet-Möglichkeiten, nicht abhalten lassen, regelmäßig Kataloge und "Bulletins" zu versenden, und er belebt damit die Verbindung zu seinem weltweiten Kundenkreis stetig und informativ und (so muss man es nämlich auch sehen!) mit individuellem Mitteilungsdesign, das sich von dem uniformen und wenig überschaubaren Internet-Angebot so vieler Anbieter deutlich unterscheidet. Schon das Äußere dieses Katalogs, mit über 500 farbigen Abbildungen, auf gutem Papier gedruckt, erfreut – und wie viel mehr noch dann der Inhalt!
Schon in einigen vergangenen Katalogen hat Geisenheyner Bücher aus der Nachkriegszeit angeboten (so in Katalog 66, Winter 2005), aber so kompakt, gleichzeitig in so reicher Fülle, und – darauf kommt es an! – mit so vielen inhaltsreichen Kommentaren versehen, das macht diesen neuen Katalog fast zu einer Art Handbuch. Hier sind in 831 Nummern (zuzüglich eines Anhangs "Bibliographie – Sekundärliteratur") deutschsprachige Kinderbücher, vor allem Bilderbücher aus Deutschland, aus der Nachkriegszeit vorgestellt. Damit öffnen sich vielfältige Blicke in die Kinderbuch-Welt jener schwierigen Jahre, in denen die Wunden der inneren und äußeren Zerstörung in der Realität zwar sicht- und spürbar, in den Büchern für die Kinder aber möglichst verdeckt, weggedacht, übertüncht wurden.
In kenntnisreichen und detaillierten "Beobachtungen" charakterisiert Andreas Bode im Vorwort des Katalogs diese Situation, vor allem im Hinblick auf die illustrative Seite der Kinderbüchern, auf die je eigene Weise, wie die Bilderwelt auf die politische, soziale, kulturelle Zeitsituation reagierte. Eben diese offenen und versteckten "Botschaften" machen gerade diese Bilderbücher zu vielsagenden Medien einer Kultur, die aus heutiger Sicht freilich auch schon "fern" wirkt (und dennoch so viel nie Verarbeitetes in sich trägt). Deshalb kommt diesem Katalog mit seinem durch Jahre zusammengetragenen Material, eine besondere Bedeutung zu. Denn die Bilderbücher der unmittelbaren Nachkriegszeit, bis in die späten 1950er Jahre, blieben bis heute bei vielen Sammlern eher gering geachtet.
Die Gründe für dieses auffallende Degagement sind vielfältig; ebenso könnte aber ja auch ein neues Interesse an diesen kleinen Kulturgütern aus vielfältigen Gründen wachsen. "Zwischen Trümmern und Wohlstand" – der Titel ist aus einer der bislang wenigen theoretischen Auseinandersetzungen mit dem Thema entlehnt (Klaus Doderer, M. Hussong, P. Jäschke und W. Kaminski: "Zwischen Trümmern und Wohlstand. Literatur der Jugend 1945-1960", 1994 bei Beltz; hier häufig für die Kommentare im Katalog benutzt), einer Arbeit, die sich allerdings hauptsächlich der literarischen, weniger der illustrativen Seite des Themas widmete.
Geisenheyners Katalog aber zeigt eben auch die Bilderwelt jener Kinderbuch-Ära (in kluger Auswahl der Abbildungen) und erschließt damit noch einen ganz anderen, vielfältigen und bezeichnenden Blick, der eben jene "Beobachtungen" Bodes (über Fortsetzungen der Illustrationstradition, über Neuanfänge, über graphische Techniken und Stile etc.) nachvollziehbar macht. Dazu kommen die sorgfältigen Kommentare und Hinweise, sowie die Register (besonders auch Verlage; gerade hier so wichtig), die diesen Katalog zu einem überaus informativen Lesebuch machen.
Einziger Mangel in diesem Zusammenhang: Man würde gern eine abschließende Bibliografie finden, die die (ohnedies nicht zahlreichen) Titel der vorhandenen und zitierten Referenzliteratur zusammenstellt. Dieser Mangel mag durch die hohen Herstellungskosten und damit einem Umfanglimit erklärbar sein: denn der Katalog vereint ja ein Angebot, das – weil es eben noch so wenig populär ist – mit zumeist sehr moderaten Preisen daherkommt. (Dabei können nicht wenige der hier versammelten Kinderbücher als ausgesprochen "selten" gelten.) Das bedeutet aber: in Hinkunft werden auch die Sammler dafür sorgen müssen, dass die Bedeutung dieser Bücher erkannt wird. Der Geisenheyner-Katalog wird ihnen dabei wirkungsvoll helfen.
Friedrich C. Heller
Antiquariat Winfried Geisenheyner, Münster-Hiltrup (Tel. 02501/7884, rarebooks@geisenheyner.de). Katalog 80. Herbst 2012: Zwischen Trümmern und Wohlstand. Kinder- und Bilderbücher 1945 bis 1960. Mit einer Einleitung von Dr. Andreas Bode. 865 Nrn., zahlreiche farbige Abbildungen, Schutzgebühr 20 Euro