Acht Autorinnen und ihre Novitäten

Hart an der Wirklichkeit

31. August 2017
von Sabine Schmidt
"Crime Ladies" liefern starke Geschichten. Was viele ihrer Romane auszeichnet: Neben Atmosphäre und Spannung steht die fundierte Analyse gesellschaftlicher Realität. Acht Herbstfavoriten.

Chancengleichheit ist selbst im frauendominierten Buchmarkt nicht an der Tagesordnung. Um das zu ändern, hat sich das Netzwerk Mörderische Schwestern die Förderung von Kriminalliteratur zum Ziel gesetzt, die von Frauen geschrieben wird. Bücher von Autorinnen fänden weniger Aufmerksamkeit als die männlicher Kollegen und würden auch seltener mit Preisen ausgezeichnet, meint die "mörderische Schwester" und Krimiautorin ­Sabine Klewe. Das liege nicht an der Qualität der Texte, sondern an der Zusammensetzung von Jurys – und den Vorurteilen von Juroren.

Dabei kann ein Blick auf die aktuelle Produktion der "Crime Ladies" Fehleinschätzungen in Sachen Qualität und Preiswürdigkeit schnell korrigieren. Bes­tes Beispiel ist der Krimi "Bei aller Liebe" (Hoffmann und Campe, 320 S., 20 Euro). Der Titel klingt sanft, der Inhalt ist hingegen heftig: Petra Reski nimmt im dritten Fall ihrer sizilianischen Staatsanwältin Serena Vitale erneut die Mafia ins Visier, deren Verbindungen längst bis nach Deutschland reichen. Im neuen Krimi geht es darum, aus der Not der Flüchtlinge, nicht zuletzt mit dem Bau und Betrieb von Unterkünften, ein Geschäft zu machen, das von Humanität weit entfernt ist. Die Mafia ist das große Thema der deutschen Buchautorin und Journalistin, die seit 1991 in Venedig lebt, und auch ihr neuer Krimi erzeugt beim Leser den Eindruck, dass sie nah an der brutalen  Wirklichkeit entlang erzählt. Das Buch, mit Mitteln des Unterhaltungsromans geschrieben, ist spannend, aber auch engagiert, grimmig und beklemmend.

Das gilt ebenfalls für Anita Nairs "Gewaltkette" (Ariadne, September, 320 S., 19 Euro). Ausgehend vom Mord an einem Anwalt in der quirligen Metro­pole Bangalore und dem Verschwinden eines zwölfjährigen Mädchens, porträtiert die Autorin ihre indische Heimat: ein Land zwischen Moderne und Tradition, wachsendem Wohlstand und bitterster Armut, in dem selbst Kinder entführt, versklavt und zur Prostitution gezwungen werden. Ihre Anteilnahme überträgt die Autorin auf den Ermittler Inspector Gowda: Der Krimi ist ein eindringliches Plädoyer für die Menschenrechte und dafür, den Opfern zu helfen und insbesondere Kinder zu schützen.

"In tiefen Schluchten" ist dagegen erst einmal ein Urlaubs- und Wohlfühlkrimi aus Südfrankreich (Kiepenheuer & Witsch, 320 S., 9,99 Euro). Anne Chaplet – das Pseudonym der deutschen Journalistin Cora Stephan – entführt ihre Leser in das »magische Vivarais« am Fuß der Cervennen und verwöhnt sie mit viel ­Atmosphäre. Tiefe bekommt ihr Krimi um eine verwitwete Anwältin, weil ­Chaplet geschickt die Geschichte der Region hineinwebt. Der Süden Frank­reichs ist für sie das »Land der Rebellen«. Die Autorin befasst sich mit dem Widerstand der Hugenotten, die sich der katholischen Übermacht nicht beugen wollten, und mit der Résistance, die gegen das Vichy-Regime und die Nazis kämpfte.

Eine bayerische, leichte Variante des Regionalkrimis bietet Nicola Förg in ihrem 19. Krimi "Heimatherz" (Emons, 208 S., 12,95 Euro), zugleich der zehnte Fall ihres Kommissars Weinzierl. Hinter der bayerischen Kulisse geht es aber um ein brisantes Thema: den Bau der Lechstaustufen und die Flutung des Forggensees, der in den 50er Jahren zahlreiche Häuser und Höfe zum Opfer fielen. Die Bewohner verloren ihr Zuhause, ein Teil ihres Lebens wurde vom Wasser verschlungen – und diese Vergangenheit scheint in Weinzierls neuem Fall eine Rolle zu spielen. Die Geschichte beginnt mit dem Mord an einer Frau, die zum Erstaunen des Hinterwäldlers, als den Förg ihren Kommissar augenzwinkernd zeichnet, mit Ausmalbüchern für Erwachsene ein kleines Vermögen verdient hat.

Elisa­beth Herrmann knüpft an einen starken Krimi aus dem Jahr 2012 an. Damals ließ sie in "Zeugin der Toten" erstmals die Putzfrau und Tatortreinigerin Judith Kepler ermitteln – in ihrem eigenen Fall: Sie war konfrontiert mit ihrer verstörenden Kindheit in einem DDR-Heim und dem vorausgegangenen missglückten Fluchtversuch, bei dem sie ihre Eltern verlor. Jetzt erzählt die Berliner Autorin in "Stimme der Toten" (Goldmann, 544 S., 20 Euro) die Geschichte ihrer traumatisierten und dennoch starken Heldin weiter: Ein Mann ist in einem Bankgebäude mehrere Stockwerke tief gestürzt, Kepler soll den Tatort reinigen – und wird nicht nur in Geheimdienstaktivitäten verwickelt, sondern auch in einen Cyberangriff, dessen Ziel die Destabilisierung Europas ist. Kepler muss sich in diesem komplexen Thriller, der von der Realität gar nicht so weit entfernt ist, erneut mit ihrer Fa­miliengeschichte und den deutsch-­deutschen Geheimdienstturbulenzen des Kalten Kriegs auseinandersetzen.

In Emma Ångströms Buch "Der Mann zwischen den Wänden" (Arctis, 336 S., 20 Euro) steht ein Kind im Mittelpunkt: die neun­jährige Alma, die mit ihrer Mutter und den beiden älteren Schwestern nach Stockholm gezogen ist. Alma ist ein stilles Mädchen, findet keinen Kontakt zu anderen, vergräbt sich in Bücher, die von Geistern und Séancen erzählen – und merkt irgendwann, dass sie nicht immer allein ist. Denn hinter den Wänden des Mehrfamilienhauses, in dem sie jetzt wohnt, ist jemand, der alle beobachtet: ­einer, der über Leichen geht, um nicht entdeckt zu werden. Der ungewöhnliche Thriller spricht auf be­rührende Weise von Einsamkeit und spielt mit dem (trügerischen) Gefühl, sich in den eigenen vier Wänden sicher zu fühlen.

Zoë Beck zeigt, warum sie eine der aktuell angesagten deutschen Spannungsautorinnen ist – mit einem Thriller über Drogen: Es geht um eine umkämpfte ­Legalisierungskampagne, Politiker, die Heroin offiziell verdammen und heimlich konsumieren, und skrupellose Bandenchefs. "Die Lieferantin" (Suhrkamp, 324 S., 14,95 Euro) aber kommt ihnen in die Quere. Sie arbeitet im London einer nicht fernen Zukunft bald nach dem ­Brexit mit einer neuen Methode: Sie wickelt ihr Drogengeschäft im Darknet ab und liefert mithilfe von Drohnen – bis sie von allen Seiten unter Beschuss gerät. Beck hebt die übliche Gut-Böse-Unterscheidung auf, entwirft das Szenario einer sich auflösenden ­britischen Gesellschaft, das nah an der Wirklichkeit sein könnte – und gibt reichlich Stoff zum Nachdenken.

In einem klassischen Polizeikrimi mordet Bestsellerautorin Val McDermid in Schottland – in ihrem 30. Fall. Von Abnutzungserscheinungen ist aber nichts zu merken: "Der Sinn des Todes"(Droemer, Oktober 496 S., 22,99 Euro) ist der gelungene Auftakt einer neuen Serie um Detective Chief Inspector Karen Pirie, eine eigensinnige, resolute, aber auch sensible Ermittlerin, die sich mit ungeklärten Verbrechen befasst. Ihr erster Fall beginnt mit einem tödlichen Unfall, denn der Routine-DNA-Test bei einem betrunkenen Fahrer zeigt eine Verbindung zu einem 20 Jahre zurückliegenden Mord. Pirie ermittelt, mischt sich zudem in einen anderen Fall ein, der zu einem vermeintlichen IRA-Attentat zurückführt – und McDermid verbindet das alles zu einer spannenden Rätselgeschichte.