Buchtipp der Woche: Nuccio Ordine, "Von der Nützlichkeit des Unnützen"

"Was zum Teufel ist Wasser?"

3. März 2015
von Börsenblatt
An ihnen wird gern zuerst gespart, und dem Nachwuchs werden sie als brotlose Professionen ausgeredet: Philosophie und Literatur. Wie lebenswichtig sie für uns alle und wie essentiell sie für die Kultur insgesamt sind, beschreibt Nuccio Ordine in seinem Buch "Von der Nützlichkeit des Unnützen" (Graf).

In einer Zeit der Nützlichkeitserwägungen und der Effizienzsteigerung geraten Tätigkeiten und Dinge, die keinen unmittelbaren Nutzen versprechen, unter Überflüssigkeitsverdacht. Alles, was nicht der Optimierung ökonomischer Abläufe und der Selbst-Maximierung dient, gilt als nutzlos, nicht "zielführend", Zeitverschwendung. 

Der an der Universität von Kalabrien lehrende Italianist Nuccio Ordine hat in seinem bei Graf erschienenen Buch „Von der Nützlichkeit des Unnützen. Warum Philosophie und Literatur lebenswichtig sind“ die Tradition befragt – Dichter und Philosophen aus zwei Jahrtausenden, von Aristoteles und Ovid über Dante, Petrarca und Shakespeare bis zu Ionesco, Heidegger und David Foster Wallace. Ordine zitiert eine kleine Anekdote, die der 2008 verstorbene Autor von „Infinite Jest“ einmal vor College-Absolventen gehalten hat: Zwei junge Fische schwimmen nebeneinander her und begegnen einem älteren Fisch, der sie fragt, wie denn das Wasser sei. Die Jungen schwimmen weiter, bis plötzlich der eine den anderen fragt: „Was zum Teufel ist Wasser?“ Für Nuccio Ordine ist die Antwort auf diese Parabel klar: „Wir haben kein Bewusstsein davon, dass Literatur und Geisteswissenschaften, Kultur und Bildung das ideale Fruchtwasser abgeben, in dem sich unsere Ideen von Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit, von Laizismus, Gleichheit, Recht auf Kritik, Toleranz, Solidarität und Gemeinwohl erst kraftvoll entwickeln können.“

"Inseln des Widerstands"

Im zweiten Teil seines Buches beschäftigt sich Ordine in 17 kleinen Betrachtungen mit der Universität, anderen Bildungsorten, alten Sprachen und Klassikern. Und beklagt den Verlust der ursprünglichen Bildungsidee, die Kürzung von Kulturetats, die Verdrängung der alten Sprachen (ein kultureller Gedächtnisverlust), das „planmäßige Verschwinden der Klassiker“ sowie „das Verschwinden der historischen Buchhandlungen“. Mit letzterem meint Ordine nicht das Verschwinden von Buchhandlungen an sich, sondern den Untergang einer spezifischen Buchhandelskultur: die „Libreria“ oder „Librairie“ als Kreuzungspunkt des literarischen und intellektuellen Lebens. „Auch die Buchhandlungen“, schreibt Ordine, „wurden durch die kaufmännischen Erfordernisse in ihrem Wesenskern verzerrt. Von historischen Treffpunkten, wo man jederzeit grundlegend wichtige Texte und Essays finden konnte, sind sie heute zum Resonanzkörper für modische Werke geworden, deren Erfolg sich einem Strohfeuer vergleichen lässt.“ Es gebe aber „wenige Inseln des Widerstands“, wo Leser immer noch Grundlagentexte finden könnten, und Buchhändler nicht zu reinen Buchverkäufern degeneriert seien.

Die mit zahlreichen Beispielen und Quellen angereicherten Reflexionen Nuccio Ordines werden ergänzt um einen bereits 1939 erschienenen Essay des amerikanischen Pädagogen Abraham Flexner über „Die Nützlichkeit unnützen Wissens“. Das gehaltvolle Buch Ordines, bereits in Italien, Frankreich und Spanien ein Bestseller, ist ein Plädoyer für das „Überflüssige“, für das nicht unmittelbar Verwertbare, für das „Nichtstun“, das den Boden bereitet für Dinge, die eines Tages von essentieller Bedeutung für den Menschen sind – der nicht nur „homo faber“, sondern auch „homo ludens“ ist.

roe

 

Bibliografie
Nuccio Ordine, „Von der Nützlichkeit des Unnützen. Warum Philosophie und Literatur lebenswichtig sind. Mit einem Essay von Abraham Flexner. Aus dem Italienischen und Amerikanischen von Martina Kempter. Graf, 2014, 272 S., 12 Euro (E-Book EPUB: 9,99 Euro)