Mehr schaffen, weniger stressen

"Schwänzen Sie ein Meeting!"

14. Dezember 2017
von Börsenblatt
Stress ist das neue Statussymbol, hat der Arbeitspsychologe Tony Crabbe festgestellt. Wir haben alle viel zu tun – doch statt die wirklich wichtigen Eisen anzupacken, betäuben wir uns mit Tätigkeiten, die uns beschäftigt halten, aber auf Dauer kaputt machen.

"Ich hab jetzt keine Zeit! Ich bin busy ..." In solchen Sätzen schwingt immer ein wenig Prahlerei über die eigene Bedeutsamkeit mit. Dabei sollte es einem peinlich sein, dieses ständige Erklären, wie beschäftigt man ist.

So denkt zumindest der britische Arbeits- und Organisationspsychologe Tony Crabbe, dessen Erstling "BusyBusy. Stresse dich nicht, lebe!" (Campus, 319 S., 19,95 Euro) bereits in zehn Sprachen übersetzt wurde. Kein Wunder: Stress und Überforderung, wie er sie beschreibt – auf der Arbeit, zu Hause, immer das Smartphone in der schweißnassen Hand – kennt in den westlichen Zivilgesellschaften jeder. Busy-Sein, das ist für ihn "jenes hektische, immer wachsame Multitasking, das uns durch unser überfrachtetes Leben trägt". Das Jonglieren mit Aufgaben und Terminen sowie die Hetze, die unseren Alltag so sehr beherrscht.

"Mit diesem Dauerstress bringen wir uns um", prophezeit Crabbe. Normalerweise kann Stress ein guter Treibstoff sein, um das Tagespensum zu bewältigen. Sobald er zum Dauerzustand wird, ist er schädlich. Mit seinem Buch möchte Crabbe die Leser "davon überzeugen, innezuhalten und die Art und Weise, wie Sie auf die tägliche Flut an Informationen, Anforderungen und Erwartungen reagieren, zu überdenken". Er möchte den "Weg zu mehr Freiheit und Lebensglück" vermitteln – und zwar anders als die vielen Zeitmanagement-Ratgeber, "die Ihnen zeigen, wie sie noch mehr To-dos in Ihren Kalender stopfen können".

Es besteht nämlich kein Zwang, busy zu sein. "Natürlich gibt es viel zu tun, aber der Glaube, dass man immer busy sei, weil man doch so viel zu tun habe, ist falsch und wenig hilfreich." Wir sind busy, so Crabbe, "weil es der einfachere Weg ist".

Wie bitte? Ja, genau. Weil man sich den harten Entscheidungen verweigern kann – jenen, die das eigene Leben und die Karriere wirklich beeinflussen können –, wenn man sich nur ausdauernd genug mit leichten Tätigkeiten beschäftigt hält. "Anstatt selbst zu denken, gestatten wir der Außenwelt und unserer Inbox, unsere Tagesordnung zu bestimmen." Reagieren, erledigen, abarbeiten sei leichter als einzelne Aufgaben bewusst abzuwählen. "Wer weniger tun will, braucht mehr Mut."

So hat das vor ihm noch keiner formuliert. Mit jeder Seite beschleicht einen das Gefühl, wie recht er doch hat mit Aussagen wie "Stress ist das neue Statussymbol". Busy-Sein steigert den eigenen Marktwert. Busy-Sein ist ein Herdentrieb. Sein Buch sei kein Manifest für Faulheit, betont Crabbe, vielmehr ein "Detox-Programm für Menschen, die ihre Freizeit zurückwollen". Er möchte vermitteln, wie man Angelegenheiten und Termine auslassen und trotzdem locker durchkommen kann. Es gilt, den Stress abzustellen, statt ihn zu verwalten. Warum also nicht mal ein Meeting schwänzen, weil es mit ziemlicher Sicherheit sowieso überflüssig sein wird?

Andere Tipps lassen sich noch leichter umsetzen, wobei man vielleicht auch selbst drauf gekommen wäre: Benachrichtigungssignale im Smartphone abschalten. Zeitbedarf für Projekte verdoppeln. Oder die eigene Nachlässigkeit beziehungsweise Unvollkommenheit akzeptieren, wenn man mal wieder vergessen hat, etwas zu erledigen. "Die Aufrechterhaltung einer perfekten Fassade hat kostspielige Folgen, die Sie, Ihre Familie und Ihre Karriere zu sehr belasten", rechnet Tony Crabbe vor.

Jede unserer Handlungen – zum Beispiel eine verschickte Mail – wirkt sich auf andere aus. "Indem wir mehr tun, bereiten wir auch anderen Menschen mehr Arbeit." Die Folge: Die Anforderungen an jeden steigen immer weiter und weiter. "Wir müssen nicht produktiver werden, sondern weniger tun – und das besser", mahnt Crabbe. Besser heißt: konzentrierter, zielgerichteter. "Sich intensiv Aktivitäten oder Gesprächen mit Menschen zuwenden, die uns wirklich etwas bedeuten. Zeit zum Nachdenken, zum gemütlichen Gang, zum Eintauchen in den Augenblick." Wer das schafft, hat den Gegenpol zur "Busyness" gefunden: Aufmerksamkeit statt Zeit. Nachdenken statt produzieren.