Eröffnung der 73. Frankfurter Buchmesse

Im Treibhaus für Optimismus

19. Oktober 2021
von Nils Kahlefendt

Mit prominenten politischen und literarischen Gästen wurde die 73. Frankfurter Buchmesse feierlich eröffnet, mit ernsten Reden voller heiterer Momente - und einem sehr eigenen kanadischen Segen, den Margaret Atwood augenzwinkernd aus der Ferne spendete. 

„Messen sind Treibhäuser für Optimismus“, sagte Philipp Nimmermann, Staatssekretär im Hessischen Wirtschaftsministerium, zur Buchmesse-Eröffnung in der Frankfurter Festhalle. Der Mann hat recht, endlich mal ein Treibhaus-Effekt, für den man nicht scheel angesehen wird. Als Nimmermann, der noch vor wenigen Monaten an gleicher Stelle geimpft wurde, Anfang Oktober die „Indoor Air“ eröffnete, die Frankfurter Fachmesse für Lüftung und Luftqualität, fiel sogar der Satz von der „Luft als Grundnahrungsmittel“. Das waren, wir erinnern uns, Bücher in Pandemiezeiten auch.

Die Frankfurter Buchmesse, die weltgrößte ihrer Art, ist eine der ersten, die wieder physisch stattfindet. Aus 1500 Teilnehmern sind im Schluss-Spurt noch 2000 aus 70 Ländern geworden, und auch wenn es 2019 noch vier Mal mehr waren, rücken die 500 Gäste in der Festhalle enger zusammen am digitalen Lagerfeuer der aufwändig produzierten Einspieler: Nun gerade!

Die Regie hat den Abend, der in alle Welt live gestreamt wird, dem neuen Mediennutzungsverhalten angepasst; ein Teil der üblichen Reden wurde mit der 1Live Stories-Moderatorin Mona Amezeane als Anchor-Frau in Talk-Formate umgesetzt, eine Struktur, die schon bei „Leipzig liest extra“ im Frühsommer zu beobachten war. Da plaudern die Frankfurter Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg und Philipp Nimmermann über private Buch-Sozialisation und die gesellschaftspolitische Dimension einer Messe, Börsenvereins-Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs lässt mit Buchmesse-Direktor Juergen Boos die letzten 18 Monate Revue passieren, mit ihren Wechselbädern aus Lockdowns und Öffnungen, kräftezehrend wie wenig zuvor. Und doch, so Schmidt-Friderichs, gehe es der Branche „erstaunlich gut“, habe sie „große Resilienz“ bewiesen. Und auch Boos konstatiert, nach anfänglicher Schockstarre: „Der Buchhandel hat sich weltweit als widerborstig erwiesen. Das Digitale hat ihn nicht gefressen.“

Der Buchhandel hat sich weltweit als widerborstig erwiesen. Das Digitale hat ihn nicht gefressen.

Juergen Boos

Als Schmidt-Friderichs nach den Impulsen gefragt wird, die künftig von der Branche ausgehen sollten, setzt die Vorsteherin – neben der Freiheit des Wortes und der Verantwortung für Natur und Umwelt – den fairen Umgang mit Autoren und Verlagen auf die Agenda. Mit deutlichem Akzent auf die Initiative „Fair lesen“, in der Autor*innen, Verleger und Buchhändler*innen für den Erhalt der Vertragsfreiheit bei der Bibliotheksausleihe von E-Books eintreten, gegen staatliche Eingriffe in die Lizensierungspraxis. Der Staat dürfe aus Bibliotheken keine „mit Steuergeldern finanzierte kostenlose E-Book-Plattformen“ machen. Szenenapplaus.

Den gibt es auch für Monika Grütters, die in Frankfurt ihre wohl letzte Buchmesse-Eröffnungsrede als Kulturstaatsministerin hält und „die Rückkehr der literarischen, der publizistischen Welt“ an den Main feiert. Sie dankt Autor*innen, Übersetzer*innen, Verleger*innen und Buchhändler*innen für ihren enormen Einsatz in den letzten anderthalb Jahren, und namentlich Juergen Boos und seinem Team für die Wiederbelebung Frankfurts als „Mekka der Buchbranche“. Ohne die Mittel aus dem Bundeskulturetat, mit Wumms verteilt, wäre manches anders gelaufen: 41 Millionen Euro flossen im Rahmen von Neustart Kultur in die Branche, dazu noch einmal 24 Millionen Literaturförderung in Form von Stipendien, Druckkostenzuschüssen – und rabattierten Messeständen.   

Margaret Atwood wird aus Toronto zugeschaltet, die wohl vergnüglichsten sechs Minuten des XXL-Eröffnungs-Aufgebindes. Die Friedenspreisträgerin des Jahres 2017 wollte ja schon 2020 für den Ehrengast Kanada sprechen. „Aber dann kam COVID-19, und wir alle kommen uns vor wie die Leute im Märchen, die im Wald einschlafen und 100 Jahre später wieder aufwachen.“ Was hatte Kanada nicht alles geplant, von „stepptanzenden Eisbären“ bis zum „Chor aus Bibern mit Schlittschuhen und Hockeystöcken“. Atwood selbst, so versichert sie uns mit stiff upper lip, hatte vor, sich „mit Moos zu bedecken und arktische Tundra zu spielen“. Doch Atwood wäre nicht Atwood, wenn sie nicht auch ins ernste Register zu greifen verstünde.

All we are is story. We change the world - one story at a time.

Mary May Simon

Ihr Exkurs über die bewundernswerte Vielfalt des Gastlands wird vor und nach ihr auf der Bühne gleichsam lebendig, mit Beiträgen von Mary May Simon, der Generalgouverneurin Kanadas, die über den schwierigen Versöhnungsprozess mit den indigenen Völkern spricht, oder der ersten und einzigen Inuk-Opernsängerin, der Sopranistin Deantha Edmunds. „Jede Provinz, jede Landschaft, jede Sprache, jede einzelne Gruppierung in Kanada“, so Atwood, „hat jetzt seine Schriftstellerinnen und Schriftsteller.“ Es gibt viel zu entdecken: Die Neuerscheinungsliste der im Doppel-Gastlandjahr ins Deutsche übersetzten Bücher zählt aktuell 401 Titel aus 165 Verlagen.  

Die Krisen haben uns gezeigt, wie fragil wir als Menschen sind. Aber wir haben auch gezeigt, wie widerstandsfähig, erfinderisch und kreativ wir sein können

Margaret Atwood

Und Corona, die Klimakrise? „Sie haben uns gezeigt, wie fragil wir als Menschen sind. Aber wir haben auch gezeigt, wie widerstandsfähig, erfinderisch und kreativ wir sein können.“ Sagt Atwood, erhebt ihr virtuelles Glas und spendet uns einen kanadischen Spezial-Segen: „Mögen Sie geschützt sein vor Bären, Moskitos und Menschen, die ihre Motorboote nicht steuern können!“ Darüber wird man zwischen Eschersheim und Sachsenhausen noch einmal in Ruhe nachdenken müssen. Aber, hey, alles ist gut: Die 73. Frankfurter Buchmesse ist eröffnet. Mit einem analogen – und einem digitalen Hammerschlag.  

Grande Dame der kanadischen, der Weltliteratur: Margaret Atwoods Rede zum erneuten Anschauen