Eröffnung der 77. Frankfurter Buchmesse

Maschinen träumen nicht

15. Oktober 2025
Nils Kahlefendt

Nicht verzagen, mehr Rilke wagen: Bei der Buchmesse-Eröffnung vereinen sich philippinische Folklore und Poesie mit deutscher Elektro-Musik zu einer wunderbar leichten Melange. Die politische Ansage des Abends ist nüchtern-prosaisch: Kulturstaatsminister Wolfram Weimer möchte Tech-Giganten wie Google am liebsten einhegen – und notfalls sogar „zerschlagen“.   

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Eröffnungsfeier 77. Frankfurter Buchmesse 

Wir sollten nicht vor Angst verzagen, sondern mehr Rilke wagen.

Wolfram Weimer, Kulturstaatsminister

„Der erste DJ in der Geschichte der Frankfurter Buchmesse“, freute sich Juergen Boos. Und wir freuten uns mit: Ein philippinischer Madrigalchor, ein groovender Frankfurter Elektronik-Producer am Theremin und digitale Farbexplosionen - so psychedelisch wurde eine Frankfurter Buchmesse noch nie eröffnet, fast kam man sich vor wie bei Jefferson Airplanes „White Rabbit“, damals mahnte Sängerin Grace Slick ("One Pill Makes You Larger, And One Pill Makes You Small...") vor den Gefahren bewusstseinserweiternder Substanzen. In Frankfurt haben wir als legales Rauschmittel die Kraft der Literatur. Wenn sich Buchmesse-Direktor Boos und sein Team in den letzten Monaten fragten, was der Markenkern ihrer Veranstaltung in einer sich rasant verändernden Welt ist, dann lautete die Antwort immer: „In einer Welt der Grenzen verbindet die Buchmesse Menschen.“ Ein Job, der in diesem Jahr „in nie dagewesener Dringlichkeit“ zu leisten ist.

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Die Autorinnen Mookie Katigbak-Lacuesta, Merlie M. Alunan und Marjorie Evasco (von links)

Tech-Giganten bedienen  sich aus dem Fundus geistigen Eigentums rund um den Globus. So werden Kulturen weltweit zu vermeintlichen Rohstofflieferanten degradiert und schamlos ausgebeutet. Das ist digitaler Kolonialismus, den wir nicht länger hinnehmen dürfen.

Wolfram Weimer, Kulturstaatsminister

Dass die Organisatoren der Eröffnungsfeier nach drei Jahren auf die immer etwas bemüht wirkende Moderation verzichteten, war eine weise Entscheidung; heuer führte eine männliche Stimme aus dem Off durch den Abend. Nach Boos betraten drei lautstark gefeierte Botschafterinnen der Poesie von den Philippinen die Bühne, Merlie M. Alunan, Mookie Katigbak-Lacuesta und Marjorie Evasco; auf die Dichterinnen folgten der Frankfurter OBM Mike Josef, der 100 Jahre Neues Frankfurt, das Städtebauprogramm seines Vorgängers Ludwig Landmann (1868-1945), feierte, und Armin Schwarz, Hessischer Minister für Kultur, Bildung und Chancen, mit glückenden, aber etwas schulfibelhaften „Wir schaffen das“-Geschichten.

Sodann der erste Auftritt des neuen Kulturstaatsministers Wolfram Weimer auf einer Frankfurter Buchmesse. Weimer, der erst kürzlich den „Weimatar“ vorgestellt hatte – den ersten Avatar eines deutschen Regierungsmitglieds – schien für einen Moment unter die Hobbypoeten gegangen zu sein. Doch es handelte sich um ein KI-Gedicht, ausgespuckt nach Eingabe der Stichworte „Buch“, „Frankfurt“ und „Gedicht im Rilke-Stil“. Mit seinem Pseudo-Rilke-Auftritt deutete Weimar an, was Autorinnen und Autoren demnächst bevorstehen könnte: „KI übermäht die Wiesen unserer novalishaften blauen Blumen und verarbeitet die Ernte zu industriellen Produkten.“ Ein Vorgang, den Weimer „geistigen Vampirismus“ nennt. „Data-Mining“ ist für den Kulturstaatsminister ein Euphemismus, der suggeriert, dass die großen Tech-Giganten so etwas wie die legitimen digitalen Nachfahren von Bergbau-Unternehmen seien, ganz so, als hätten sie eine Lizenz.

Ein Foto von der Eröffnungsveranstaltung der 77. Frankfurter Buchmesse. Die philippinische Senatorin Loren Legarda trägt eine pinke Jacke und einen bunten Schal. Neben ihr steht Wolfram Weimer, Staatsminister für Kultur und Medien, in einem dunklen Anzug mit einer hellen Krawatte. Im Hintergrund sind weitere Personen zu sehen.

Die philippinische Senatorin, Loren Legarda und Wolfram Weimer, Staatsminister für Kultur und Medien, kommen zur Eröffnungsveranstaltung. 

Nichts wäre unzutreffender: „Amerikanische und chinesische Tech-Giganten trainieren ihre KI-Systeme mit Milliarden von Werken, ohne die Einwilligung der Urheber einzuholen, geschweige denn, ihnen auch nur einen Cent zu zahlen. Völlig ungeniert bedienen sie sich aus dem Fundus geistigen Eigentums rund um den Globus. So werden Kulturen weltweit zu vermeintlichen Rohstofflieferanten degradiert und schamlos ausgebeutet. Das ist digitaler Kolonialismus, den wir nicht länger hinnehmen dürfen. Wir werden der Verletzung von Urheberrechten nicht länger tatenlos zusehen. Wir müssen zu einem wirkungsvollen Urheberrechtsschutz kommen.“ Klingt gut. Aber lässt sich so etwas umsetzen? Weimer warb für seinen „Plattform-Soli“ und eine Regulatorik, die Urheberrechte wirklich schützt. “Lasst uns Google und Co. einhegen, besteuern, zu Respekt vor den Urhebern zwingen, nötigenfalls zerschlagen“, schließt ein verbal kampfeslustiger Minister. „Wir sollten nicht vor Angst verzagen, sondern mehr Rilke wagen.“ Nein, Maschinen träumen nicht – und insofern ist „Phantasie beseelt die Luft“ ein wunderbares Buchmessen-Motto.

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Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, eröffnet die Frankfurter Buchmesse.

Ein Gedanke, den die scheidende Börsenvereins-Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs noch einmal aufnimmt, bevor sie ein letztes Mal den Hammer schwingt, um die 77. Frankfurter Buchmesse zu eröffnen. „Behalten Sie Big Tech im Visier“, schreibt sie uns ins Stammbuch. Geht in Ordnung – sowieso -- genau --- wollen wir da am liebsten mit Eckhard Henscheid antworten, treten aber erst einmal in die wunderbar samtene Frankfurter Abendluft hinaus. Auf dem Weg zur U-Bahn saugt sich der Blick an einem Citylight-Plakat fest, dem nichts hinzuzufügen ist: „Frankfurter Buchmesse: Das einzige Oktoberfest, bei dem die Sprache nicht leidet.“ Schaumermal.