Die Sonntagsfrage

Wann sollte man ein Wort nicht mehr benutzen, Herr Heine?

18. September 2022
von Börsenblatt

Pizza Hawaii, Schwarzfahrer, Clankriminalität - gefühlt kommt gerade jede Woche ein Wort auf den Index der Wörter, die man besser nicht mehr benutzen sollte. Warum ist das so? Wer entscheidet darüber? Ist das gut oder schlecht?  Und was hilft es, wenn man die Geschichte der „kaputten“ Wörter kennt? Matthias Heine hat ein Buch darüber geschrieben – und beantwortet dazu die Sonntagsfrage. 

Matthias Heine

Matthias Heine

Politische Kämpfe werden seit einiger Zeit vermehrt auf dem Gebiet der Sprache ausgetragen. Das gilt sowohl für die Forderung nach „gendergerechter“ Sprache als auch für die Verbannung „rassistischer“, „sexistischer“ oder „herabsetzender“ Wörter. Dafür gibt es drei Gründe, zwei sind international, einer spezifisch deutsch: Erstens erheben bestimmte gesellschaftliche Gruppen Anspruch darauf, mitzubestimmen, wie man sie nennt. Zweitens verändert die digitale Medienrevolution die Bedingungen, unter denen vermeintlich falsches Sprechen wahrgenommen und diskutiert wird. Früher verhallte ein rassistisches oder sexistisches Wort meist im engen Echoraum des Stammtischs, der familiären Kaffeetafel oder der Bierzeltrede. Drittens haben wir in Deutschland ein quasi-religiöses Verhältnis zur Sprache und die immer schon vorhandene Furcht vor falscher Sprache ist durch die Erfahrung mit dem dehumanisierenden Jargon des Nationalsozialismus noch gesteigert worden.

Um die Wortwahl wird erbittert gestritten. Woher kommt der Furor auf beiden Seiten?

Auf der einen Seite stehen Menschen, die oft aus einer konstruierten „Betroffenheit“ den aggressiven Anspruch erheben, den vielen Millionen Deutschsprechern vorzuschreiben, wie sie zu reden haben – statt in aller Ruhe demokratisch für Veränderungen zu werben. Auf der anderen Seite, Menschen, für die Sprache Heimat ist und die jeden erzwungene Änderung als Anschlag auf etwas Ureigenes empfinden.

So gelingt der angemessene Austausch

Wie wir zu einem angemessenen Austausch kommen? Zunächst mal, in dem man sich gründlich über Bedeutung, Geschichte und Gebrauch umstrittener Wörter informiert. Denn es sind viele falsche Behauptungen im Umlauf. Beispielsweise, dass der Begriff „Schwarzafrika“ in der Kolonialzeit im Umlauf war. In Wirklichkeit kam er erst während der Dekolonialisierung nach 1945 häufiger in Gebrauch, als man einen Begriff für die unabhängig gewordenen Länder südlich der Sahara benötigte. Auf der Basis solcher Fakten kann man dann hoffentlich etwas gelassener diskutieren.

In meinem Buch "Kaputte Wörter" behandle ich etwa 80 umstrittene Wörter. Ich habe die Kritik von sich betroffen oder diskriminiert fühlenden Menschen aufgegriffen und stelle sie auch im Buch dar. Es wurden nur Wörter aufgenommen, für die solche Kritik belegbar war.

Man sollte jedes Wort nicht mehr benutzen, von dem sich eine große, repräsentative Menschengruppe beleidigt oder herabgewürdigt fühlt.

Ich möchte mit meinem Buch alle Menschen erreichen, die an Sprache interessiert sind und die Sprache professionell benutzen oder sogar über ihre Verwendung mitbestimmen  – als Journalisten oder Politiker beispielweise. Aber auch ganz normale Menschen, die Fettnäpfchen umgehen wollen. Bei vielen Wörtern wissen manche Leute ja gar nicht, dass sie umstritten sind, beispielsweise „gemischtrassig“, „taubstumm“ oder „Beziehungstat“.

Man sollte jedes Wort nicht mehr benutzen, von dem sich eine große, repräsentative Menschengruppe beleidigt oder herabgewürdigt fühlt. Das gilt fürs aktuelle Reden über diese Menschen. Etwa ganz anderes ist aber die Frage, ob solche Wörter noch im metasprachlichen wissenschaftlichen Fachgespräch, in Literatur oder historischen Quellenzitaten benutzt und ausgesprochen werden können. Wenn ich in einem Buch über das deutsche Kaiserreich von Hedwig Richter in einem Quellenzitat zum Kolonialismus plötzlich „N*“ statt „Neger“ lese, hat das was von Geschichtsfälschung.

Welche Wörter ich persönlich vermeide? „Neger“, „Zigeuner“ natürlich. So wie jeder andere zurechnungsfähige Mensch auch. Aber nur, wenn ich über diese Menschen rede oder schreibe. Ich sehe keinen Grund, ein wundervolles Gedicht wie Nikolaus Lenaus „Drei Zigeuner“ zu verbannen oder umzutexten.

Buch

Matthias Heine: "Kaputte Wörter? Vom Umgang mit heikler Sprache", Duden, 304 Seiten, 22 Euro