Die Sonntagsfrage

Wie sieht Ihr Lesungskalender im Herbst aus, Herr Pflüger?

1. August 2021
von Börsenblatt

Andreas Pflüger hätte seinen neuen Roman "Ritchie Girl" (Suhrkamp) gern auf großer Lesertour vorgestellt, doch sein Kalender ist leer. Wie wichtig Lesungen im Buchhandel für die Autoren sind, welche kreativen Ideen aus dem Handel ihm imponieren und was er sich für den Herbst wünscht, beantwortet er in der Sonntagsfrage. 

"Ritchie Girl" entstand zwischen Oktober 2019 und November 2020, das Lektorat war im Januar/Februar. Ergo zählte ich zu den Autoren, die in der härtesten Corona-Zeit Glück hatten. Während der Arbeit an einem Roman lebe ich ohnehin in einer Schreibquarantäne, also relativ asozial; da müssen selbst enge Freundschaften zurückstehen, weil ich extrem auf meinen Text fokussiert bin.

Dennoch dachte ich oft an die Kolleginnen und Kollegen, deren Bücher während der Pandemie erschienen sind. Ich habe mit ihnen gefühlt. Für viele war es schlimm, hart gearbeitet zu haben, am Ende so stolz zu sein und dann um den Erfolg gebracht zu werden, weil die Buchhandlungen geschlossen waren und keine Lesungen stattfanden. Man hatte das Vier-Gänge-Gourmet-Menü bestellt und nur Ravioli aus der Dose gekriegt.

Hinzu kamen die ausgefallenen Messen. Für einen Autor sind das anstrengende, doch auch erfüllende Tage, da man zwar ständig herumgereicht wird, es aber eine phantastische Gelegenheit ist, mit Buchhändlern, Journalisten und nicht zuletzt dem Lesepublikum in Kontakt zu kommen. Wir leben nicht in Tonnen und sind nicht so bedürfnislos wie Diogenes. Schreiben ist eine einsame Arbeit, aber den Austausch mit unserem Publikum brauchen wir. Ja, und auch ein wenig Applaus, wenn möglich.

Autoren brauchen die Solidarität des Buchhandels

Nun steht uns wieder ein unsicherer Herbst bevor, und auch ich spüre zum ersten Mal die Auswirkungen von Corona auf meine Arbeit.

Die Frankfurter Buchmesse wird erneut nur eingeschränkt stattfinden, diverse Veranstaltungen fallen aus. Normalerweise hätte ich sieben Wochen vor dem Start eines Romans längst einen vollen Lesungskalender für den Herbst. Doch obwohl ich bei Suhrkamp erstklassig betreut werde, kann ich meine Einladungen bislang an einer Hand abzählen. Für mich ist das bitter, auch weil ich nach der Jenny-Aaron-Trilogie zu neuen Ufern aufgebrochen bin und mit »Ritchie Girl« das Triller-Genre verlassen habe. Eine große Lesereise wäre da sehr hilfreich.

Nein, dies wird keine Jeremiade über eigenes Unglück, das stünde mir nicht zu. Bei meinen hohen Auflagen bin ich in der absolut privilegierten Situation, sehr gut von meinen Tantiemen leben zu können. Doch das gilt für die meisten eben nicht. Viele Kolleginnen und Kollegen publizieren in kleinen Verlagen, die keine oder nur geringe Vorschüsse zahlen können. Die sind auf Lesungshonorare angewiesen, für die ist die Situation ein Totalschaden.

Jetzt, im Herbst, haben etliche Veranstalter Scheu, Lesungen zu planen, weil sie nicht wissen, wie es weitergehen wird. Dabei gibt es Buchhändler, die kreativ mit der Situation umgehen. "Ritchie Girl" spielt in Teilen in einem Camp der US-Army nahe Frankfurt, darum habe ich mich sehr gefreut, dass Martina Bollinger, deren Buchhandlung Bollinger Bücherwelt2 in Oberursel quasi vor den Toren meines Romanschauplatzes angesiedelt ist, im September die Buchpremiere machen wird. Sie sagte mir: "Wir könnten, anstelle eines Tickets, einfach jedem, der zu Ihrer Lesung kommt, ein Exemplar von ›Ritchie Girl‹ verkaufen. Sollte die Lesung dann doch noch platzen, sind die Bücher wenigstens an den Mann und die Frau gebracht."

Für diese Idee kriegt Frau Bollinger von mir den Pflüger-Orden mit Stern am Schulterband. Damit könnte man vor allem jenen Autoren, die finanziell ganz anders dastehen als ich, wahnsinnig helfen. Die Leute, die ich im Buchhandel kenne, sind meist pfiffig und haben vor allem ein großes Verständnis für diejenigen, deren Arbeit sie mit so viel Liebe verkaufen. Im Herbst hat jeder Impfwillige den zweiten Pieks. Ohne Jurist zu sein: Besitzt der Buchhandel gegenüber seinen Kunden nicht Vertragsfreiheit und kann selbst entscheiden, wer zu Veranstaltungen kommen darf und wer nicht? Was stünde eigentlich Lesungen entgegen, bei denen nur Menschen mit Impfpass zugelassen sind? Was die Politik betrifft: Die sollte zur Kenntnis nehmen, dass dann eine Drittel- oder Viertelbelegung der Plätze unnötig wäre; so könnte es wieder volle Häuser geben. Und es wäre großartig, wenn – gerade jetzt – auch unbekanntere Autoren angefragt würden. Die haben es am dringendsten nötig und brauchen die Solidarität des Buchhandels.