Welche Zielgruppe sollen sich Autor:innen beim Schreiben vorstellen?
Der Rahmen, den Schreibende abstecken, ist eng verbunden mit der Frage: Warum schreibe ich? Dies bedeutet, zuerst bei mir selbst eine Bestandsaufnahme zu machen, bevor ich mich nach außen orientiere. Die möglichen Motivationen, die Autor:innen mitbringen, sind sehr vielfältig: Möchte ich eine komplexe Familiengeschichte aufarbeiten? Will ich meinen Nachkommen etwas ganz Persönliches hinterlassen? Möchte ich einen Beitrag zur Geschichtsschreibung leisten – z. B. zur Geschichte der DDR? Etwa wenn ich politisch verfolgt war? Oder möchte ich die Ein- und Auswanderungsgeschichte meiner Familie festhalten? Ist mit dem Buch ein Coming-out in Bezug auf die sexuelle Identität verbunden? Stellt man sich die Warum-Frage, wird deutlich, wer das Buch lesen soll. Dementsprechend kann ich meine Zielgruppe definieren und mich bewusst an eine private oder breite Öffentlichkeit richten.
Wie kann man einen inhaltlichen Fokus setzen?
Der Fokus sollte eng mit der Schreibmotivation verbunden sein, ansonsten ist die Gefahr groß, dass das Projekt versandet. Gleichzeitig sollte man den Markt gründlich recherchieren, um das eigene Buch gut zu platzieren. Das im englischsprachigen Raum verbreitete Genre des Memoirs setzt gezielt Schwerpunkte in der autobiografischen Erzählung. Als Autorin fokussiere ich mich auf ein wichtiges Thema, eine Lebensphase oder die Bewältigung einer bestimmten Lebenssituation. Ich muss nicht meine komplette Lebensgeschichte aufschreiben, sondern kann mich auf einen Aspekt beschränken. Mit diesem Erzählfokus kann ich auch mein Publikum besser erreichen.
Wie können die eigenen Erinnerungen bewertet werden? Was ist subjektive und was biografische Wahrheit?
Die Frage nach der biografischen Wahrheit lässt sich nicht einfach beantworten. Autobiografien haftet ja immer das Subjektive an. Gleichzeitig gibt es messbare Daten, die Rückschlüsse auf Sachverhalte geben können. Die muss ich natürlich mit in Betracht ziehen – Zeitgeschichtliches, historisch Belegtes usw. Einige Autor:innen beginnen gerade deshalb zu schreiben, weil sie „die Wahrheit“ suchen, weil in der Familie so viel geschwiegen und verschwiegen wurde. Das kann private Familiengeheimnisse betreffen oder zum Beispiel den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in der Familie. Biografisches Schreiben kann eine Annäherung an die Wahrheit sein, eine Suchbewegung, die man jedoch irgendwann – zumindest vorläufig – abschließen muss.
Im autobiografischen Genre sehen wir heute eine starke Tendenz zur Autofiktion – möglicherweise eine Antwort auf die wachsende Notwendigkeit, „sich immer wieder neu erfinden zu müssen“. Hier vermischen sich Erlebtes und Erfundenes auf äußerst fantasievolle und vielfältige Weise. Dabei geht es auch um das Spiel mit der Wahrheit, das als solches deklariert werden sollte, insbesondere wenn es moralisch-ethische Sachverhalte betrifft.