Recht

»Wer haftet bei massenhaften Abmahnungen?«

27. September 2007
von Börsenblatt
Nach Auffassung des Landgerichts Hamburg ist der Verlag für Buchinhalte verantwortlich. Nach Ansicht des Landgerichts München ist eine breite Streuung von Abmahnungen wegen der Pflicht, den Schaden für den Verlag gering zu halten, nicht gerechtfertigt.
Wir erinnern uns: 2003 hat das Buch »Hinter den Kulissen« von Dieter Bohlen großes Aufsehen erregt. Vor, während und noch nach dem geplanten Verkaufsstart wurden an Verlag, Druckerei, Buchhandlungen und sogar an Radiosender weit mehr als 200 Abmahnungen verschickt. Grund hierfür waren verschiedene Bilder und Textpassagen, in denen sich der Autor über mehr oder weniger bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ausließ. Heute – vier Jahre nach der beispiellosen Aktion – beschäftigen sich die Gerichte noch immer mit diesem Fall und der brisanten Frage: Waren die Abmahnungen erforderlich und haftet der Verlag für Anwaltskosten in sechsstelliger Höhe? Das Landgericht München hat dies verneint. Es hat festgestellt, dass sich die breite Streuung der Abmahnungen auf eine Vielzahl von Verbreitern des Buches als höchst kostenintensiv darstelle und vor dem Hintergrund der Pflicht, den Schaden des Verlags gering zu halten, nicht gerechtfertigt sei. Ferner habe der Verlag, der nach Erlass der ersten einstweiligen Verfügungen den Vertrieb des Buches eingestellt und den Buchhandel zur kostenlosen Rückgabe des Buches aufgefordert habe, nicht schuldhaft gehandelt. Ganz anders sieht dies das Landgericht Hamburg. Es hat den Verlag nun zur Erstattung eines Großteils der dort eingeklagten Anwaltskosten verurteilt. Die Begründung: Der Verlag sei für den Inhalt des Buches verantwortlich und daher »Täter« einer – mit den Buchhandlungen gemeinschaftlich begangenen – unerlaubten Handlung. Das Tatgeschehen umfasse nicht nur den Druck und das erste Inverkehrbringen von Exemplaren des Buches durch den Verlag, sondern auch den Weitervertrieb durch nachgeschaltete Händler, die insoweit ebenfalls rechtlich als »Störer« einzuordnen seien. Die Abmahnungen seien geboten gewesen, und der Verlag habe daher die Kosten zu tragen. Katastrophale Folgen Diese Rechtsauffassung ist kaum nachvollziehbar. Schon den Verlagen, die sich bezüglich der Inhalte eines Buches oft auf ihre Autoren verlassen müssen, ist eine Prüfung der Rechtslage mit abschließender Gewissheit oft kaum möglich. Erst recht dürfte aber außer Frage stehen, dass eine Pflicht des Buchhandels zur Prüfung der Inhalte unzumutbar ist. Der Buchhandel kann daher rechtlich wohl kaum als »Störer« eingeordnet werden, solange er nichts von rechtswidrigen Inhalten weiß. Wie auch bei Forenbetreibern im Internet wird man zumindest verlangen können, dass der Buchhandel zunächst über die Rechtsverletzung informiert werden muss und allenfalls dann zum »Störer« wird, wenn er das Buch danach noch verkauft. Abgesehen davon besteht für eine Abmahnung des Buchhandels kein Anlass mehr, wenn der Verlag jegliche Vertriebstätigkeiten einstellt und die Bücher aus dem Handel zurückruft. Das Hamburger Urteil hat für die Verlage katastrophale Folgen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um einfache Unterhaltungsliteratur oder um gut recherchierte Sachbücher handelt. Steht eine Rechtsverletzung im Raum, so können die Anwälte des Betroffenen nach Belieben jeden an der Verbreitung des Buches Beteiligten auf Kosten des Verlages abmahnen – schlimms-tenfalls also mehr als 6.000 Buchhandlungen. Das finanzielle Risiko des Verlages wäre untragbar, und alleine die Drohung mit einer solchen Abmahnwelle würde ihre Wirkung nicht verfehlen. Dieses »Druckmittel« führt zu einer massiven Gefährdung von Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit, die weder erforderlich noch gerechtfertigt ist. Es bleibt daher zu hoffen, dass die Gerichte der weiteren Instanzen diese Gefahr erkennen und beheben.