Presseschau

Krimiboom, Rhett Butler, open mike

6. November 2007
von Börsenblatt
Mit Autoren wie Juli Zeh und Burkhard Spinnen hat der Krimi die Schmuddelecke des literarischen Gewerbes verlassen, meint Silja Ukena im Spiegel. Ebenfalls Thema: Rhett Butler und der 15. open mike.
"Unter Genreverdacht" - Silja Ukena hat einen wahren Krimiboom entdeckt und schreibt im "Spiegel": Es ist der Trivialitätsverdacht, der über dem Genre schwebt. Der Leser ist da unkomplizierter. Tatsächlich gibt es derzeit einen wahren Krimiboom mit einem hohen Anteil deutschsprachiger Autoren. Ein Ende des Aufschwungs ist vorerst nicht absehbar und das heißt: Hier lässt sich noch Geld verdienen. Und so fällt auf, dass neuerdings auch Romane literarisch etablierter Autoren als Krimis verkauft werden. Alexa Hennig von Langes "Risiko" etwa, Bruno Preisendörfers "Die Vergeltung", "Schilf" von Juli Zeh oder das neue Buch von Birgit Vanderbeke, das den etwas umständlichen Titel "Die sonderbare Karriere der Frau Choi" trägt. Auch "Mehrkampf" gehört dazu, der jüngste Roman von Burkhard Spinnen. Er ist unter den genannten Autoren sicher derjenige, dessen Name sich am allerwenigsten mit dem Begriff Unterhaltungsliteratur verbinden lässt. Dennoch taucht das Wort Kriminalroman beharrlich im Klappentext auf, und auch die Beschreibung des Inhalts legt diesen Verdacht zumindest nahe: Auf dem Marktplatz einer deutschen Kleinstadt schießt jemand auf den ehemaligen Zehnkampf-Heroen Roland Farwick, und der örtliche Hauptkommissar beginnt zu ermitteln. Wie viel die einander unbekannten Männer in Wahrheit verbindet, stellt sich erst im Verlauf der Handlung heraus. Da geht es dann weniger um den Täter, als vielmehr um das Scheitern von Lebensplänen - die Midlife-Crisis als möglicher Mörder von Männern um die vierzig. Stofflich ist das ein reizvoller Gedanke. Und so liest sich das Buch auch eher als intelligente Analyse einer verantwortungsscheuen Männergeneration. Die Auflösung im Tatort-Format bleibt aus. "Rhett Butler rettet den Süden" - Über Donald McCaigs Fortsetzung von Mitchells Bestseller "Vom Winde verweht" heißt es in der "Welt": McCaigs Roman "Rhett", der in diesen Tagen weltweit und mit gehörig Dschingerassabum erscheint, ist gar nicht mal so übel. So steife, historisch parfümierte Sätze wie "Fürwahr. Ich habe den ehrbaren Leuten ausreichend Gelegenheit gegeben, sich zu empören", sagt McCaigs Rhett Butler dankenswerterweise nicht allzu oft. Und dass Kathrin Razum, die Übersetzerin, manchen Dialog im Präteritum belässt, statt ihn, wie im Deutschen üblich, ins Perfekt zu übertragen, dafür kann Donald McCaig ja nichts. Bei ihm klingt Rhett Butler nur selten wie ein vom Whisky heiserer Minnesänger. Und auch angesichts der Vorgeschichte dieser Fortsetzung hat sich der eher unbekannte Autor aus Montana, der in Virginia Schafe züchtet, erst recht wacker geschlagen.... Vielleicht ist es McCaigs Geheimnis, dass er den originalen Roman gar nicht mag, zumindest hat er ihn mit den Argusaugen eines Feindes gelesen. "Rhett" erzählt dieselbe Geschichte wie "Vom Winde verweht", allerdings nicht aus der Perspektive der willensstarken Südstaatenlady Scarlett O'Hara, sondern aus der ihres geheimnisvollen dritten Ehemanns Rhett Butler. Rhett ist das schwarze Schaf einer angesehenen Familie aus South Carolina, ein schöner Mann, ein begabter Kapitalist, ein Held, Blockadebrecher und Zyniker. "Frankly, my dear, I don't give a damn", lautet seine berühmteste Zeile. McCaig hat jeden noch so versteckten Hinweis auf Rhetts Biografie in Mitchells Tausendseiter aufgespürt und in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht. "Rhett", der Roman, reicht so von Rhetts Kindheit bis in die 1870er Jahre und kommt eine ganze Weile als munteres intertextuelles Spiel hart am Rande der Parodie daher (die die schwarze Schriftstellerin Alice Randall mit "The Wind Done Gone" tatsächlich schrieb, wofür sie die Mitchell-Erben vor Gericht zerrten). "Die Last des Stofflichen" - über den open-mike-Literaturwettbewerb schreibt die "Frankfurter Rundschau": Der 15. open-mike-Literaturwettbewerb verblüffte jetzt mit einem weitgehend ausgetauschten Tableau von Textästhetiken; die Innerlichkeits-Kargheiten waren in der Minderheit; erzählt wurde von der großen weiten Welt. Die aus fast 700 Einsendungen ausgewählten sechzehn Prosa-Finalisten berichteten aber nicht einfach bloß etwa von der Trauerarbeit im Iran, dem Missionarsalltag in Afrika oder den Wirtschaftsbeziehungen der DDR, sondern hatten im Gegensatz zu den windschnittigen Autorenbiographien früherer Wettbewerbsteilnehmer wirklich mehr erlebt als bloß Germanistikstudium und erste Stipendienanwärterschaften: Das Wort "Migrationshintergrund" fiel häufig in den kurzen Einführungen der die Texte vorsortierenden Lektoren; der Autor Johann Trupp etwa stammt ursprünglich aus Kirgisien und hat Deutsch erst spät als zweite Sprache gelernt. Seine Erzählung "Parallelgestalten" wurde bereits früh als möglicher Kandidat gehandelt und schließlich sogar zusätzlich zu einem der drei open-mike-Literaturpreise mit dem neugeschaffenen Publikumspreis gewürdigt.