Die TV-Sender auf der Buchmesse

Fernsehen kann nicht ohne Literatur

17. Oktober 2008
von Börsenblatt
Die kulturelle Kompetenz des Fernsehens ist in Verruf geraten seit Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki anlässlich des Deutschen Fernsehpreises seine berühmte Wutrede hielt. Auf der Buchmesse scheint jedoch alles wie gehabt: Die großen Namen unter den Autoren tummeln sich auf den blauen, beigen, orangen und schwarzen Sofas von ZDF, ARD, arte und 3sat – wobei beide Seiten zu gewinnen hoffen.
„Über Literatur!“, entgegnete Reich-Ranicki scharf, als Gottschalk ihn fragte, worüber er in einer Sondersendung gerne reden würde. Und da sah es plötzlich so aus, als käme Literatur im Fernsehen gar nicht mehr vor. Auf der Buchmesse ist der Eindruck genau gegenteilig; die Sender wuchern mit den Pfunden, die sie dann ja doch noch haben: Die ARD, die sogar mit zwei live produzierenden Bühnen vertreten ist, schickt auf der Fernseh-Bühne am Donnerstag etwa gleich zweimal sein bestes Literatur-Pferd Denis Scheck ins Rennen. Er ist Moderator der Sendung „Druckfrisch“, deren Frequenz von acht auf zehn Ausgaben im Jahr erhöht wurde. „Wir haben eine Reichweite von einer halben Million Zuschauer“, gibt sich Klaus Hensel, einer von vier „Druckfrisch“-Redakteuren, hoch zufrieden. „Und das, obwohl wir sonntags noch nach den Tagesthemen und ‚titel thesen temperamente’ laufen.“ Indirekt spricht er damit jedoch ein Problem der Kulturformate an: Sie werden meist auf Sendeplätzen spät am Abend versteckt: „titel thesen temperamente“ und „Druckfrisch“ etwa laufen nach 23 Uhr, „Aspekte“ um 22.30 Uhr. Elke Heidenreichs Literaturmagazin „Lesen“ kommt in diesem Jahr noch zweimal dienstags um 22.15 Uhr. Und nach Heidenreichs Angebot in der FAZ („Von mir aus schmeißt mich jetzt raus, ich bin des Kampfes eh müde“) danach vielleicht nie wieder. „Als ‚Bücher Bücher’ abgeschafft wurde, gab es keinen Aufschrei“, benennt HR-Kulturredakteur Hensel die mangelnde Lobby, die Literatur- und Kulturformate bei den Zuschauern haben. Trotzdem geben die Sender auf der Buchmesse viel Geld für aufwendige Bühnen und ein Programm reich an Höhepunkten aus, berichten in Sondersendungen wie der 3sat-„Buchzeit“. Ihre Stände ziehen so neben den überregionalen Zeitungen das meiste Publikum – kein Durchkommen mehr war etwa, als Buchpreis-Gewinner Uwe Tellkamp seinen DDR-Roman „Der Turm“ auf dem 3-sat-Sofa vorstellte. Der deutsch-französische Kultursender Arte stellt alle Buchmesse-Programmpunkte als Live-Stream ins Internet, hat sechs Videoblogger ins Getümmel geschickt, die sehr subjektiv skurrile und spannende Momente einfangen. „Der Auftritt hier ist unheimlich wichtig für uns“, erklärt Arte-Sprecher Thomas Schmid, „hier ist unser Publikum!“ Reich-Ranickis Wutrede „freut uns, da haben wir nichts gegen.“ Kein Wunder, wurde Arte doch ausdrücklich als einzig annehmbares Programm gelobt. Dass der 88-jährige Literaturkritiker mit der „Verflachung“ der Fernsehprogramms ein neues Phänomen angesprochen hat, glaubt Schmid jedoch nicht: „Das ganze Medium ist in Verruf geraten seit es die kommerziellen Anbieter gibt“, meint er. Symptomatisch für diese Einschätzung der Lage: Kein privater Sender präsentiert sich mit einem Stand auf der Buchmesse. Einige Fernsehteams widmen sich den bunten Themen, den Partys und der Prominenz. Doch auch 3sat, der reine Kultursender der öffentliche-rechtlichen Anstalten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, bekam bei Marcel Reich-Ranicki sein Fett weg: „Ich habe auch früher wichtige Sendungen im 3sat-Programm gesehen. Aber das hat sich jetzt geändert. Meist kommen da schwache Sachen“, so der O-Ton. Dem Sender ist sein Buchmesse-Stand immerhin so wichtig, dass Programm-Koordinator Daniel Fiedler zugegen ist: „Wir gehen nicht den Weg der Banalisierung“, sagt er und kann nur ahnen, was Reich-Ranicki meint: „Das Fernsehen ist keine Bildungseinrichtung, sondern muss unterhalten. Und ich sage ganz klar: Wir wollen unterhalten.“ Völlig richtig findet der Programm-Chef, dass das Klischee der „grauhaarigen Herren, die steif am Tisch über Literatur diskutieren“ keinen (Sende-)Platz mehr hat. „Es kommt auf die Vermittlung an, auf eine frische Darstellung. Wir sitzen nicht im Elfenbeinturm, sondern müssen auch den Markt im Auge behalten.“ Erfreulich sei dabei jedoch, dass man auch mit vermeintlich unpopulärem Quote machen können: Eine literarische Dokumentation über Orhan Pamuk habe etwa Marktanteile weit über Senderdurchschnitt erzielt. Stark im Kommen seien zudem Opern-Übertragungen. So bewegen sich die Sender zwischen den Kampf gegen die Banalisierung und dem eigenen Qualitätsanspruch auf der einen und den Ansprüchen des Marktes, den schnellen Sehgewohnheiten eines jungen Fernsehpublikums, auf der anderen Seite. Eins ist klar: Die Buchmesse ist ein kultureller Höhepunkt, den sich zumindest auf öffentlich-rechtlicher Seite niemand entgehen lassen will. Und auch auf der anderen Seite hat das Fernsehen weiter hohe Priorität: „Es freut uns sehr und ist durchaus verkaufsfördernd, wenn wir einen Autoren im Fernsehen platzieren können“, sagt etwa Julia Strack vom Blumenbar-Verlag. Dessen türkischer Autor Murathan Mungan diskutierte am Donnerstag auf der ARD-Fernsehbühne. Stephan Wirges, Marketing-Leiter bei Kiepenheuer und Witsch pflichtet dem im Prinzip bei, relativiert den Stellenwert der Fernsehens jedoch ein wenig: „Wenn wir etwa einen Autor bei Beckmann platzieren, rufen wir nicht gleich: ‚Schmeißt die Druckmaschinen an!’“ Ein Fernsehauftritt sei heute keine Garantie mehr für hohe Verkaufszahlen. Nichtsdestotrotz unterhält man natürlich gute Kontakte zu den Kulturredaktionen und achtet jedes neue Halbjahr darauf, Themen im Programm zu haben, die man gut verkaufen kann. Trotz Reich-Ranickis Banalisierungvorwurf bleibt das Fernsehen also ein wichtiger Partner und Multiplikator des Literaturbetriebs und auf der Buchmesse deutet nichts darauf hin, dass sich daran etwas ändern soll.