Interview: Claudia Lux

… dass man uns umwirbt und lockt

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Die Präsidentin des Weltverbandes der Bibliotheken fordert die Verleger auf, ihr Geschäft für die digitale Zeit zu überprüfen. Offensives Denken sei gefragt.

Wie beurteilen Sie die Rechtslage im Streit um die digitalen Lehrbuchangebote in Darmstadt?
Lux: Weil ich keine Juristin bin, beurteile ich Rechtslagen schon mal gar nicht. Mir scheint aber, dass die Auseinandersetzung hier an der falschen Stelle geführt wird.

Was wäre die richtige Stelle?
Lux: Wichtiger als die Klärung, ob hier gegen geltendes Recht verstoßen worden ist, wäre eine Beschäftigung mit der Zukunft. Die Frage, um die wir Bibliotheken uns mit den Verlagen gemeinsam kümmern sollten, lautet: Wie muss ein Ur­heberrecht für die digitale Zeit aussehen? Haben alte Vorstellungen da wirklich noch Bestand?

Wie können denn die Geschäfte zum Beispiel mit Lehrbüchern in der digitalen Zeit aussehen?
Lux: Ich bin ja nicht verantwortlich für die Geschäfte, die die Verlage machen. Das müssen die schon selbst beantworten. Aber gemeinsam sollten wir uns fragen: Was ist eigentlich das Neue in einer digitalen Welt?

Dann frage ich das jetzt mal Sie.
Lux: Unsere Kunden wollen heute viel schneller als früher den direkten Zugriff auf Inhalte haben. Sie wollen dafür nichts bezahlen. Und sie wollen dafür nicht mehr unbedingt in die Bibliothek kommen. Diesem Anspruch haben wir uns zu stellen. Die notwendigen Investitionen dafür haben die Bibliotheken nie gescheut.

Free Culture – dann können die Verleger doch einpacken.
Lux: Das ist mir viel zu defensiv gedacht. Aber es ist eine typische Reaktion. Ich habe bisher nur wenige Verleger getroffen, die in der Lage sind, große Schritte auf die­se neue Welt zuzugehen.

Wer macht es schon?
Lux: Springer zum Beispiel. Die haben im vergangenen Jahr den Ausschnitt ihrer Snippet Views bei Google Book Search deutlich vergrößert. Und was sie feststellen konnten war, dass sie damit die Erlöse gesteigert statt geschmälert haben.

Dennoch: Ein Verleger, der bisher mit Lehrbüchern Geld verdient, darf es doch beunruhigend finden, wenn die Nutzung solcher Werke plötzlich geschieht, ohne dass noch Geld fließt.
Lux: Wenn ich das Business-Modell für die digitale Zeit hätte, würde ich sofort einen Verlag gründen. Was mich gegenwärtig irritiert, ist, dass kaum jemand ernsthaft an neuen Geschäftsmodellen arbeitet. Man kann aber nicht die alten Modelle der Verleger in die neue Zeit hinüberretten­.

Was erwarten Sie von Verlagen, deren Kundin Sie ja sind?
Lux: Dass man uns wie Kunden behandelt. Umwirbt. Mit attraktiven und innovativen Angeboten lockt. Wir machen unseren Job ja auch nicht zum Privatvergnügen, sondern um die Gesellschaft weiterzubringen. Das sind, dachte ich, Werte, die wir mit unseren Verlegern teilen.