Interview der Woche mit Gernot Schulze

Universitätsbibliothek Darmstadt: "Der Gesetzgeber hat eine Lücke gelassen"

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Darf die Universitätsbibliothek Darmstadt Bücher digitalisieren, ohne ein Vertragsangebot zu prüfen? Der Anwalt des Ulmer Verlags hat seine Zweifel.

Im Verfahren um eine einstweilige Verfügung des Ulmer Verlags gegen die Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt gehen nun beide Seiten in Berufung. Welches Ziel verfolgen Sie als Anwalt der Verlagsseite?
Das Landgericht Frankfurt hat dem Antrag des Ulmer Verlags auf einstweilige Verfügung nur zum Teil stattgegeben. Die Digitalisierung von Lehrbüchern wurde nicht beanstandet, nur der Download auf USB-Sticks. Der entscheidende Punkt wurde aber aus unserer Sicht nicht zutreffend entschieden: ob die Bibliothek ohne Weiteres ihre Buchtitel einscannen darf oder nicht erst ein vertragliches Angebot des Verlags prüfen muss.


Ist die Digitalisierung der Titel nicht ohnehin verboten?
Grundsätzlich ja. Paragraf 16 des Urheberrechtsgesetzes untersagt die Vervielfältigung von Titeln, auch in elektronischer Form. Eine offene Frage ist, ob die Schrankenregelung im neuen Paragrafen 52 b, derzufolge Bücher an elektronischen Leseplätzen zugänglich gemacht werden, auch die vorherige Digitalisierung der Titel abdeckt. Hier hat der Gesetzgeber eine Lücke gelassen, die jetzt durch die Rechtsprechung gefüllt werden muss.


Das Landgericht Frankfurt hat die vorherige Digitalisierung erlaubt, wenn ihr »keine vertraglichen Regelungen« entgegenstehen. Gilt das nur für geschlossene Verträge oder auch für Verträge, die noch zwischen Verlag und Bi-blio­thek geschlossen werden könnten?
Das ist der springende Punkt. Vor der Einführung des Paragrafen 52 b Anfang 2008 hatten die Verlage überhaupt keinen Anlass, Verträge mit Bibliotheken über die Digitalisierung abzuschließen. Nun, da die Vorschrift gilt, muss ihnen doch zumindest die Gelegenheit gewährt werden, den Bibliotheken ein Angebot zu unterbreiten. Das könnte etwa nach dem Vorbild der Vorschrift zum Kopienversand durch Bibliotheken (Paragraf 53 a) geschehen. Demgemäß haben sich Verlage und Bibliotheken auch darauf geeinigt, die Inhalte von den Verlagen auf vertraglicher Basis anzubieten. Digitale Geschäftsmodelle wie die elektronische Lehrbuchsammlung UTB-­studi-e-book, an der auch der Ulmer Verlag beteiligt ist, hätten sonst keine Chance im Markt.


Was geschieht, wenn die Richter am Oberlandesgericht die Entscheidung der Vorinstanz bestätigen?
Dann wäre das Verfahren der einstweiligen Verfügung abgeschlossen, weil in diesem Verfahren keine Revision möglich ist. Man müsste den Fall anschließend auf dem Wege einer Hauptsacheklage klären, die bis zum Bundesgerichtshof verfolgt werden könnte. Eine andere Möglichkeit wäre, dass sich beide Parteien außergerichtlich einigen.