Funktion oder Schönheit?

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Im Sommersemester, das sich inzwischen dem Ende zuneigt, fand in der Erlanger Buchwissenschaft eine Übung statt, in der Friedrich Forssman mit einer kleinen Gruppe Studierender besprach, in wie weit man Typographie objektiv und qualitativ bewerten könnte und nach welchen Maßstäben das möglich wäre.
Nach einigen Sitzungen, in denen eine Vielzahl von Buchbeispielen untersucht wurde, kristallisierte sich heraus, dass es jenseits der überlieferten Konventionen des Buches, die mit minimalen Abweichungen in jedem Typographiebuch zu finden sind, keinen einheitlichen Maßstab geben kann. Und sogar diese Konventionen können im Einzelfall übertreten werden, ohne dass dadurch zwangsläufig „schlechte“ Typographie entstünde. Wichtig sei dabei aber, dass nicht der Anschein entsteht, dies sei ein Zufall oder Fehler.
Der Bereich des Buches, der über dessen Gestaltung den besten Aufschluss bietet ist gleichzeitig derjenige, der in vielen Büchern vernachlässigt wird: Die Titelei, die mit ihrer Vielzahl an zu gestaltenden Informationseinheiten sowohl als auch die Linien und Verhältnisse anlegt, die in der weiteren Buchgestaltung wieder aufgegriffen werden können. Als eine der häufigsten Quellen für objektivierbare Fehler erwies sich das Impressum, das in vielen Fällen gar nicht gestaltet zu sein scheint und an einer eher zufälligen Stelle auf der Seite steht.
In einem praktischen Experiment gestalteten alle Teilnehmer unabhängig voneinander den Einstieg in ein wissenschaftliches Buch über Umschlag, Titelei, Inhaltsverzeichnis, erste Textseite bis hin zu glatten Textdoppelseiten und solchen mit Abbildungen. Die Vorgabe war es, ein „langweiliges, aber solides“ Layout zu entwerfen. Bei der Diskussion der Ergebnisse zeigte es sich, wie schwer es sein kann „gute Langeweile“ zu setzen. Viele Entwürfe waren im ersten Anlauf für den Zweck viel zu „gestaltet“. In einem zweiten Anlauf gab sich das, die Entwürfe wurden dadurch allerdings keineswegs uniform. Bei einer Gruppe von 3–4 recht unterschiedlichen Entwürfen konnte man nicht ausdrücklich sagen, welcher dem Text gerechter geworden wäre als die anderen.
Dieses Phänomen ließ sich jedoch auch umgekehrt beobachten. Die Besprechung von Layouts, wie dem der „für Dummies“-Reihe von Wiley & Sons, überraschte nämlich in anderer Hinsicht. Es handelt sich dabei nämlich nicht um das, was man sich vorstellen würde, wenn von „guter Typographie“ gesprochen wird. Zu laut, zu gelb, zu unseriös. Und doch hat dieses Layout eine Aufgabe, die es ganz hervorragend erfüllt:  Ängste vor dem (oft technischen) Inhalt abzubauen und diesen verständlich zu vermitteln. Dennoch würde ein Buch aus dieser Reihe kaum die Gnade der Stiftung Buchkunst finden.
Es stellt sich also am Ende wieder die Frage nach der Aufgabe von Typographie. Funktion oder Schönheit?