Interview

SPD-Politiker Sebastian Edathy: "'Hauptsache Umsatz' kann nicht der richtige Ansatz sein"

23. Juli 2015
von Börsenblatt
SPD-Politiker Sebastian Edathy ärgert sich über die Verbreitung von rechtsextremistischer Literatur durch Amazon. Wie berichtet, plädiert er als Vorsitzender des Innenausschusses im Deutschen Bundestag für die Einführung einer freiwilligen Selbstkontrolle des Buchhandels. Im Interview mit boersenblatt.net regt Edathy jetzt eine Initiative des Börsenvereins an.

Wie sind Sie auf rechtsextreme Bücher bei Amazon aufmerksam geworden?
Sebastian Edathy: In Bürger-Eingaben bin ich darauf hingewiesen worden, dass im »Shop«-Bereich bei Amazon Publikationen von Rechtsextremisten erhältlich sein sollen. Bereits vor Monaten hatte ich deshalb Schriftverkehr mit den Amazon-Verantwortlichen in Deutschland. Den Antworten habe ich eine Leichtfertigkeit entnommen, die ich für unverantwortlich halte. Literatur, die die NS-Zeit verherrlicht, ist in meinen Augen kein beliebiges Handelsgut. Hier besteht ausdrücklich keine gesetzliche Regelungslücke, aber ein Mehr an Sensibilität wäre sicherlich angebracht. Werke, die dezidiert ein Denken anpreisen, das 1933 erst zur Vernichtung der Demokratie in Deutschland und im selben Jahr zu Bücherverbrennungen geführt hat, sind keine normale Ware.

Amazon beruft sich auf die Kompetenz der Justiz und der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Warum reichen diese offiziellen Kontrollinstanzen aus Ihrer Sicht nicht aus, um dem Problem in angemessener Weise zu begegnen?
Sebastian Edathy: Amazon sagt in der Tat: Was nicht verboten ist, verkaufen wir. Die Hürden für ein Verbot von Publikationen sind aber selbstverständlich und aus gutem Grund sehr hoch. Die Frage ist: Gibt es unterhalb dieser mit Recht hohen Grenze im Einzelfall Bücher, die zum Beispiel für Rassenwahn werben? Wie geht man mit solchen Büchern um? Ich bin nicht dagegen, dass sie verkauft werden, sofern sie das Strafgesetzbuch nicht verletzen. Aber ich bin dagegen, dass sie als reguläres Angebot behandelt werden. Selbstverständlich ist das eine Gratwanderung, die nicht vom Gesetzgeber normiert werden sollte. Es wäre aber sinnvoll und sicherlich auch machbar, dass sich der Buchhandel in Form einer Empfehlung darauf verständigt, extrem anti-demokratische Werke nicht so zu behandeln, als gehörten sie zum gewöhnlichen Angebot. Rechtsextremismus ist Realität, auch in Form von Veröffentlichungen. Aber sollte man ihn deshalb als Normalität betrachten? Nein, das wäre falsch. Und das dürften auch die allermeisten Buchhändler so sehen.

Zieht sich der Buchhandel, speziell die großen Internet-Anbieter, zu sehr aus der Verantwortung?
Sebastian Edathy: Ich bin ein Gegner pauschaler Aussagen und jenseits der Preisbindung und der Weiterentwicklung des Schutzes geistigen Eigentums auch ein Gegner gesetzlicher Regelungen bezüglich des Buchhandels. Ich denke aber, dass jeder Buchverkäufer in Deutschland auch eine gewisse Verantwortung trägt. Geschäfte mit genuin anti-demokratischer Literatur zu machen, halte ich für problematisch. Es geht diesseits strafbarer Inhalte nicht um Verbote, sondern darum, ob zum Beispiel ein objektiv rassistisches Buch im Schaufenster oder auf dem Präsentations-Tisch liegen muss.

USK für Unterhaltungssoftware und FSK für Filme werden nach dem Jugendschutzgesetz im Auftrag der obersten Landesjugendbehörden tätig. Müsste sich Ihr Appell nicht also doch an den Gesetzgeber richten, eine entsprechende Regelung für Bücher mit in das Gesetz aufzunehmen?
Sebastian Edathy: Ich bin dagegen, dass der Gesetzgeber regelt, wie inhaltlich mit Büchern umzugehen ist. Das kann nur der Buchhandel selbst im Rahmen von internen Übereinkünften tun, die allenfalls Empfehlungs-Charakter haben könnten, ohne bindend zu sein. Das ist ein Spagat, und dessen bin ich mir bewusst. Indifferenz gegenüber jeder Art von Publikationen, wie sie Amazon betreibt, halte ich aber für allemal problematischer. "Hauptsache Umsatz" kann angesichts rechtsextremistischer Veröffentlichungen nicht der richtige Ansatz sein. Für die Demokratie einzustehen, ist eine Aufgabe auch für den Buchhandel. Noch einmal: Hier geht es nicht um Zwang oder Vorgaben des Gesetzgebers. Hier geht es um verantwortliches Handeln.

Wie sollte eine FSK des Buchhandels denn Ihrer Meinung nach organisiert sein und was genau müsste sie leisten?
Sebastian Edathy: Ich bin nicht der Auffassung, dass bei Büchern Analogien zu den FSK-Regelungen im Bereich Computerspiele oder Filme gezogen werden können. Wofür ich werbe, ist mehr Sensibilität im Bereich der Vertreiber von Printmedien für einen bewussteren Umgang mit rechtsextremistischer Literatur.

Und wie soll dann gewährleistet werden, dass bei der Vielzahl von Händlern einheitliche und verlässliche Maßstäbe angelegt werden?
Sebastian Edathy: Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels könnte einen entsprechenden Kodex formulieren. Seit 1973 gibt es in Deutschland einen Pressekodex. Dieser bedeutet nicht, dass man nicht gegen ihn verstoßen kann, aber er konstituiert wesentliche Qualitätsmerkmale für die journalistische Arbeit. Warum sollte eine solche Selbstverpflichtung für den Bereich des Handels mit Publikationen unmöglich sein?

Interview: Christian Winter