Meinung

Antiquariatsbuchhandel auf verlorenem Posten?

19. April 2010
von Börsenblatt
Wachen Sie auf, meine Damen und Herren! Der Kampf um die Zukunft des Antiquariats findet nicht im Internet statt – und vielleicht ist er sowieso schon verloren. Eine Schmähschrift von Herbert Meinke.

Pünktlich zur Eröffnung von Buchmessen (Frankfurt und/oder Leipzig) oder Antiquariatsmessen (wahlweise Stuttgart, Ludwigsburg, Zürich, Köln, Berlin, Hamburg, "München diesmal nicht") werden wieder einige ältere Herren vollmundig erklären, "um die Zukunft des Buches mache man sich keine Sorgen". Man sollte sich auch nicht "Sorgen", sondern endlich mal die Augen aufmachen.

Schon der Versuch eines Blicks in die Zukunft stimmt mich hoffnungslos. Auf diesem Markt scheint nichts mehr zu stimmen. Die alten Strukturen sind mit einer solchen Geschwindigkeit zerbröselt, die ich so nicht erwartet hatte. Natürlich werden noch beeindruckende Umsätze erzielt, die Mediantis AG (das ist das ZVAB) nennt einen Jahresumsatz für das Geschäftsjahr 2009 von circa 4,5 Millionen Euro, wobei aber nicht aufgeschlüsselt ist, wie viel davon Tonträger oder Neubücher sind. Aber mit klassischem Antiquariat hat das nichts zu tun, das ZVAB ist in erster Linie eine Vermittlungsplattform für Gebrauchtbücher.

Die Zahlen der anderen Plattformen sind mir nicht bekannt, werden aber sicherlich geringer sein. Was und in welcher Umsatzgröße bei Ebay 'vertickert' wird, kann ich gar nicht einschätzen. Auf den über zehn deutschen Buchauktionen werden immer noch Millionenbeträge umgesetzt, was da aber nach Abzug der Kosten noch übrig bleibt, weiß ich nach über zehnjähriger Tätigkeit im Auktionswesen nur zu gut. Diesen auf den ersten Blick beachtlichen Umsätzen stehen eben auch immense Kosten gegenüber. Dazu kommt, dass die insgesamt wohl relativ konstante Umsatzhöhe auf eine größere Zahl von Anbietern aufzuteilen ist, wobei der Anteil der Privatleute und Schattenhändler eher mehr als weniger geworden ist.

 

In der Sackgasse

Offenbar steckt das bestehende Antiquariatsgewerbe in einer Sackgasse. So wie es ist, kann es ökonomisch nicht sinnvoll weitergehen, aber Erfolg versprechende alternative Strategien sind nicht in Sicht. Der Handel zerfleischt sich in Debatten über Datenhoheit von eigenen Beständen im Verhältnis zu den Verwertungsplattformen und/oder versucht, sich in Rückzugsgefechten die Illusion einer Autonomie zu erhalten. Doch das Rad lässt sich nicht mehr zurückdrehen, die Hilflosigkeit des Handels, mit der bestehenden Situation fertig zu werden, ist erschreckend.

Was hat sich in den letzten fünf Jahren so massiv geändert, dass die Situation aussichtslos erscheint? Zum einen hat sich durch die scheinbare Transparenz des Marktes das Kaufverhalten der Kunden grundlegend verändert. Ich sage mit Absicht 'scheinbare Transparenz', denn das Auswahlkriterium ist jetzt offenbar der Preis und nicht die Qualität. Daran ist der Handel sicherlich mit schuld, denn die Qualität lässt viel zu oft zu wünschen übrig. Dazu kommt, dass der bisherige Kundenstamm der Antiquare überaltert ist oder sich mit diesen neuen Vertriebsformen nicht anfreunden will. Was wiederum verständlich ist, wenn der Kunde jeden Tag den Preisverfall seiner in den letzten 20 Jahren gekauften Bücher jedes Mal neu vor Augen geführt wird.

Das junge Publikum – wenn es den überhaupt nachwächst, ich habe da meine Zweifel – kennt scheinbar nur noch das Internet und weiß den Kontakt mit dem berufserfahrenen Händler nicht zu schätzen. Was ich ihm auch nicht verübeln kann, da sich im Handel auch eine große Anzahl von fachlich Inkompetenten herumtreibt, deren Ausführungen oft eine erschreckende Unbildung belegen.

 

Selbstdarsteller und ihre Anhänger

Jetzt bemühen sich einige Kollegen redlich, dieser trostlosen Tendenz entgegenzuwirken. Sie machen dies teils mit dem traditionellen Mittel des gedruckten Katalogs oder mit verstärkter Präsenz auf Messen. Beides jedoch sind allein keine Standbeine, die das Überleben garantieren. Andere versuchen es mit ausführlicher Selbstdarstellung im Internet. Und diese Präsentationen sind in meinen Augen oft sehr problematisch, zumal wenn sich diese Antiquare immer wieder bei aufflackernden Strohfeuern 'so richtig aus dem Fenster hängen'. Sicherlich werden diese Selbstdarsteller auch ihre Anhänger finden, mir rücken sie aber oft zu nahe und teilen mir Dinge und Vorlieben mit, die ich eigentlich gar nicht wissen will.

Das gilt insbesondere für die Leute, die dieses gerade modische Medium Twitter benutzen, um möglichst schnell und (nach meiner Meinung gewollt) aktuell zu sein. Nur leider haben diese Leute scheinbar gar nicht mehr im Blick, dass auch andere diese Kurzmitteilungen mitlesen können, ohne dass sie es merken. Und dann erschreckt es mich auch, wenn ich aus den Hinweisen auf gewisse Meldungen oder Links zu anderen Seiten auf eine mir fragwürdig erscheinende politische und gesellschaftliche Ausrichtung schließen kann, die sich mit dem Berufsethos nur schwer vereinbaren lässt. Da ist mir die klare Trennung zwischen Funktion (Beruf) und Meinung lieber. Sicher finden die sich im Netz produzierenden Kollegen auch ihre 'Follower' (das ist so was wie ein treuer Adressat dieser Gedankenblitze), ob dies aber auch (regelmäßige) Kunden sein werden, wage ich zu bezweifeln. Wenn ich jeden Tag ein "Buch des Tages" annonciere, isoliere ich den Titel aus dem Gesamtangebot, und oft scheint zum Beispiel die Preisgestaltung nur schwer nachvollziehbar.

Meine Meinung zu den wenigen Blogs, die sich mit dem Antiquariat beschäftigen, will ich ungern äußern, weil ich Namen nennen müsste – und Feinde habe ich schon genug. Teils bewundere ich aber den Aufwand, den die Kollegen zusätzlich zu ihrem Betrieb leisten, teils wundere ich mich aber auch über die Empfindlichkeit, wenn einmal Widerworte fallen.

Andere Kollegen versuchen, sich mit ihrem Bücherbestand auf eigenen Seiten im Internet zu präsentieren in der Hoffnung, dadurch nicht von den Angebotsplattformen abhängig zu sein. Dass einige dies auch noch mit Hinweisen auf Seiten ähnlich motivierter Kollegen verbinden, ist lobenswert. Ob dies zu mehr Verkäufen führt, kann ich nicht beurteilen. Wenn ich konkret weiß, was ich suche, benutze ich Suchmaschinen, die eine größere Anzahl von Datenbanken durchsucht – und ärgere mich, dass die Titel zu oft als Dublette erscheinen. Stöbern, wie das früher so nett hieß, kann ich nirgendwo mehr mit Vergnügen. Viel wichtiger ist mir aber die Frage, wie soll der Kunde (sprich potenzielle Käufer) diese isolierten Seiten eigentlich finden – und warum sollte er sie suchen? All diese Versuche, sich im Internet zu präsentieren, scheinen mir die Hilflosigkeit gegenüber den objektiven Bedingungen nur zu bestätigen.

 

Ausbleibende Käufer

Betrachten wir aber nicht immer nur die Seite des Handels, die schon trostlos genug ist. Wie sieht es denn auf der Seite der Käufer aus? Natürlich hat jeder Händler schon mal einen Kunden unter 30 Jahren gesehen, ich weiß… Aber ehrlich muss man wohl doch eingestehen, dass die Zahl der Abgänge um vieles höher ist als die nachwachsende Zahl. Das wundert mich auch nicht, wenn ich mir das soziale Umfeld in Deutschland ansehe. Hier ist nicht mehr viel vorhanden von bürgerlichem Bildungsniveau und Wertschätzung von Traditionslinien, das Alte wird eher als Belastung denn Verpflichtung gesehen. Wenn schon die Produktion von neuen Büchern – oder das was scheinbar manche Verlage dafür halten – von so schrecklicher Qualität ist, dass man sich nur fragen kann, wer dieses 'Zeug' eigentlich kaufen soll, und diese 'Ware' wird dann noch in einer Geschwindigkeit wieder verramscht, dass sich der Käufer nur noch an der Nase herumgeführt fühlt.

Wenn den Menschen Publikationen angeboten werden, die eine Verfallszeit haben, die in Monaten und nicht in Jahren gezählt werden müssen, erscheint die Publikationsform auf elektronischem Weg sinnvoller als das gedruckte Buch. Und das wird schneller gehen, als wir uns das vorstellen können. Und wo kann der Nachwuchs dann noch lernen oder besser erfahren, was und wo Qualität ist? In Bibliotheken? Das was uns heute an Kultur und Wissen verkauft werden soll, wird von selbsternannten Experten auf "Leuchttürme" reduziert, das Niveau der allgemeinen Bildung entspricht dem Niveau unserer Politiker. Es ist offensichtlich, dass die, die uns führen wollen und 'retten' sollen, von der Geschwindigkeit der gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderung überfordert sind. Und bei dem kläglichen Versuch der ökonomischen Besitzstandswahrung fallen die Kulturaufgaben – auch wenn sie im Grundgesetz eigentlich festgeschrieben und verankert sind, den Sachzwängen des Sparens zum Opfer.

Und da glauben wir, dass gerade das Antiquariat überleben wird? Ist nicht der rapide Preisverfall für alte Bücher der schlagende Beweis für diese Entwicklung? Und der Preisverfall ist noch lange nicht zu Ende. Kommen Sie mir jetzt nicht mit den üblichen Argumenten: A. Gutes wird sich immer durchsetzen. Wenn nur noch wenige das Gute erkennen, gibt's auch keinen guten Preis mehr. Das erfahren Sie spätestens, wenn Sie zu verkaufen versuchen. B. Seltenes wird noch seltener und damit teurer. Mittlerweile sind die Käufer für Seltenheiten seltener als die Ware. C. Der Geschmack wird sich wieder ändern, neue Moden werden entstehen und damit immer wieder neue Interessenten. Sicherlich ist das richtig, aber die nächsten Generationen werden die Erfahrungen haben, dass diese Wechsel und Veränderungen immer schneller von statten gehen und der Wertverfall dieser Modeerscheinungen wird vielleicht nicht so schnell in Vergessenheit geraten.

Und noch etwas Grundsätzliches: Der seriöse Handel mit alten und wertvollen Gegenständen ist schon von der Sache her etwas Langsames. Er verlangt Zeit, Muße, Geduld, Erfahrung – und ausreichend Kapital auf Seite der Käufer wie auch der Verkäufer. Diese Grundvoraussetzungen scheinen mir aber nicht mehr ausreichend vorhanden zu sein und sie sind mit dem immer wichtiger werdenden Medium des Internets nicht wirklich kompatibel. Der Akt ist beschränkt auf Angebot und Kauf eines einzelnen Objekts, Käufer und Verkäufer bleiben sich fremd, sie gehen keine engeren Bindungen ein, wie sie im klassischen Antiquariat möglich und sinnvoll waren. Der Käufer hat kaum eine Chance, 'seinen' Antiquar im Internet zu finden, da sich sein Suchen nur selten über die großen Datenbanken hinaus bewegen wird. Der kluge Antiquar hingegen wird nicht alle seine Bestände im Internet präsentieren, die besseren und selteneren Titel wird er, wenn er sich das leisten kann, nicht so einfach in den großen Sumpf werfen. Weil nämlich dort hemmungslos abgekupfert wird und sich gleich noch jemand findet, der billiger anbieten kann und will.

 

Verwertungsmaschinen

Datenbanken sind keine Antiquariate. Sie sind Verwertungsmaschinen und geeignet für mehr oder weniger unkomplizierte Massenware. Massenware können auch teure Objekte sein wie eine Chagall-Bibel oder Helmut Newtons "Sumo". Und Datenbanken und Qualität sind ein Widerspruch in sich selbst, das werden auch genossenschaftlich oder wie auch immer von Antiquaren betriebene Plattformen nicht ändern können, denn für Qualität, die auch inhaltlich und nicht nur formal definiert werden muss, kann es zwar Kriterien, aber keine Kontrollinstanz geben. Die neue Vertriebsform für das klassisch aufgestellte breite Antiquariat jenseits der Kataloge oder Messen ist nicht in Sicht.

Eins weiß ich aber sicher, der vor sich hin allein wurschtelnde Antiquar wird im Spagat zwischen Massenware über Datenbanken und dem Bewahrenwollen seiner herbeigebeteten Autonomie verhungern oder sich spätestens dann lächerlich machen, wenn er seinen Anspruch in der Öffentlichkeit präsentiert und mit mittelmäßiger Ware oder fragwürdiger Preisgestaltung aufwartet. Aber vielleicht hat er Glück und wird im Netz einfach nicht gefunden. Dann stirbt er wenigstens nicht öffentlich und macht sich zum Gespött.

Herbert Meinke

Der Beitrag ist in gedruckter Form in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Aus dem Antiquariat" erschienen (Neue Folge 8, 2010, Nr. 2).