Debatte

Wo die Musik spielt

19. August 2011
von Börsenblatt
Pro und Contra: Sollten Buchhändler Noten in ihr Sortiment aufnehmen? Oder fehlt ihnen dazu das Fachwissen? Zwei Reaktionen von Dirk Lütge und Ulrich Jesse zum Artikel "So treffen Sie den richtigen Ton" im Börsenblatt (Heft 31).

Pro

Um Noten zu verkaufen, braucht es kein Musikstudium. Die nötige Kompetenz lässt sich auch anders erwerben, zum Beispiel durch Seminare. Außerdem soll es ja durchaus musikalische Buchhändler geben – solche also, die nicht nur wissen, was eine Note ist, sondern auch den Unterschied zwischen einer Kantate und einer Motette kennen. Wenn Musika­lienhändler glauben, Buchhändler seien nicht dazu in der Lage, den hohen Ansprüchen der Notenkunden zu genügen, dann irren sie sich. Wir können ganz gut mithalten!
Unsere Kunden waren froh, als sie bei uns auch Musiknoten kaufen konnten – wären wir unglaubwürdig, hätten sie sich längst wieder von uns abgewandt. Doch das Gegenteil ist der Fall: Weil die Nachfrage weiter steigt, habe ich das Segment jetzt sogar noch einmal deutlich ausgebaut – auf fünf Regalmeter. Ich will damit nicht sagen, dass alles schon perfekt läuft. Aber das tut es doch auch bei ausgewiesenen Musikalienhändlern nicht. Oder haben diese etwa Zeit, um die Chöre vor Ort so intensiv zu betreuen, wie es vielleicht angebracht wäre?

Der Rat an den Buchhandel, die Finger vom Notengeschäft zu lassen, mag gut gemeint sein, hat aber einen schalen Beigeschmack. Aus meiner Sicht will man sich auf diese Weise doch nur unliebsame Konkurrenz vom Hals halten. Noten im Buchhandel machen jedoch Sinn – auch strategisch: Sie unterstreichen, dass wir kompetente Fachhändler sind. Mit Nippes, Wein oder Schokolade gelingt das nicht. 

Dirk Lütge, Mitinhaber von Ameis Buchecke in Hildesheim, führt Musiknoten bereits seit mehreren Jahren. Sie machen knapp zwei Prozent seines Umsatzes aus.

Contra

Suche Dir einen Kunden für ein Notenheft, dem kannst Du dann auch ein Buch verkaufen« – wer eine solche Krücke braucht, hat bereits verloren. Der größte Erfolgsgarant für den stationären Fachhandel ist seine glaubwürdige Kompetenz. Hier liegt aber auch die größte Gefahr, denn der Kunde betritt den Laden mit dem Wunsch: Ich möchte nicht enttäuscht werden! Und dafür braucht es Fachwissen – Fachwissen, das ein Buchhändler, der Musiknoten gerade neu in sein Sortiment aufnimmt, kaum haben kann.
Den örtlichen Chor- oder Orchesterleiter auf einen Notenkauf anzusprechen wird also schwierig. Ohnehin hat dieser bereits einen fachlich kompetenten Lieferanten, mit dem er in einer Fachsprache spricht, sonst gäbe es nämlich gar kein örtliches Chor- oder Orchesterwesen.

Kleben Sie sich Ihr Schaufenster voll mit »Wir besorgen Noten«, »Wir besorgen Kochtöpfe«, »Wir besorgen Segelschiffe«. Bei Kochtöpfen und Segelschiffen ist man leicht einsichtig und sagt sich selbst: »Vielleicht sollte ich etwas vom Kochen oder Segeln verstehen.« Genau diese Vorsicht ist auch bei Musiknoten angebracht.  Denn auch mit Musiknoten verhält es sich wie auf einer Reise in die Fremde: Nur mit einem guten Sprachverständnis können Sie einen intensiveren Zugang zu Einheimischen bekommen.
Ein Schild auf der Stirn mit dem Ausruf »Ich kann alles!« macht jemanden noch nicht zum Alleskönner. Dies gilt im Übrigen auch für einzelne Musikverlage. Glaubwürdige Kompetenz ist gefragt, von allen. 

Ulrich Jesse ist Geschäftsführer von Bartels Noten in Bremen – und zugleich Sprecher des Forums Aktiver Musikalienhändler (FAM).