Gastspiel

Am Anfang war das Buch

10. Mai 2012
von Börsenblatt
Warum Entspannung manchmal schwierig zu haben ist. Von Markus Barth.
Es gibt ja immer zwei Arten von Menschen: Die einen legen sich an einem sonnigen Tag auf eine Wiese und entspannen sich. Die anderen legen sich auf eine Wiese und lesen dabei das Buch: "Richtig entspannen, während man auf Wiesen liegt". Wenn sie dann fertig gelesen haben und mit dem Entspannen anfangen wollen, merken sie, dass der Himmel sich zugezogen hat, packen zusammen und gehen unentspannt nach Hause.

Ich fürchte, ich gehöre zur zweiten Art. Ich stamme aus einer Familie, in der vor jedem neuen Handgriff erst mal ein Buch gekauft wurde. Tomaten anpflanzen? Da gibt’s bestimmt ein Buch zu. Brustschwimmen? Da kauf ich mir erst mal ein Buch. Bücher kaufen? Nicht ohne Buch! Im Nachhinein wundert es mich, dass wir morgens aus dem Bett kamen, ohne vorher das Buch "Richtig aufstehen! – 1.000 Tipps für die ersten fünf Minuten des Tages" zu studieren.

Und wie das so ist mit Dingen, die man im Elternhaus gelernt hat: Man schleppt sie gnadenlos ins Erwachsenenleben hinein. Wenn man heute über mein Bücherregal schaut, könnte man meinen, ich wäre ein leidenschaftlicher Mountainbiker und Jongleur, mit intimer Kenntnis fernöstlicher Meditationstechniken und einem gut trainierten Beckenboden. Nichts davon ist wahr. Ich komme ja zu nichts, weder zum Mountainbiken noch zum Jonglieren, ich muss schließlich die ganzen Bücher darüber lesen.

Ich kaufe einfach wahnsinnig gern Bücher. Wann immer mich ein Thema interessiert, besorge ich mir erst mal ein Buch dazu, damit ich vorbereitet bin, falls das  reine Interesse mal in aktives Handeln ausartet. Daran ist nichts auszusetzen, da werden mir bestimmt gerade die Buchhändler zustimmen. Nur leider wird aus dem Interesse fast nie eine Handlung.

Beispiel: die richtige Ernährung. Was habe ich Bücher zu diesem Thema! Dabei wissen wir doch alle, wie der Hase läuft. Gesünder essen – mehr bewegen. Zack, Ende, fertig ist die Laube. Da muss man keine versteckten Kohlehydrate suchen und keinen Säure-Basen-Haushalt ausrechnen – ein bisschen gesunder Menschenverstand reicht dicke. Braucht man dazu wirklich ein Buch? Beziehungsweise die 16.685 Bücher, die eine Amazon-Suche zum Thema "Gesunde Ernährung" ausspuckt? Ich fürchte nein. Ernährungsbücher sind im Grunde die Nassrasierer des Buchhandels: Es gibt seit Jahren keine wirklichen Innovationen, trotzdem erscheinen ständig neue.

Und ich bin der Erste, der sie kauft! Wahrscheinlich, weil ich hoffe, dass irgendwann irgendwo steht: "Herzlichen Glückwunsch, Sie können alles essen, was Sie wollen, müssen nie mehr Sport treiben und werden trotzdem Ihr Idealgewicht halten!" Aber das passiert leider nicht. Stattdessen liege ich dann auf der Couch, blättere mit der einen Hand im "Großen Glyx-Kochbuch", fische mit der anderen die letzten Krümel aus einer Chipstüte und spüre selbst, dass da irgendwas nicht stimmt.

Und so bringt mich mein Leseverhalten immer öfter zum Grübeln. Ich denke mir regelmäßig, ob es nicht eine gute Idee wäre, Dinge einfach zu machen, statt nur darüber zu lesen. Und genau deswegen gehe ich jetzt in den Park, lege mich auf eine Wiese und entspanne mich. Falls ich vorher aber noch an einer Buchhandlung vorbeikomme und das Buch "Einfach machen! Warum man nicht immer erst ein Buch lesen muss" finde, werde ich es selbstverständlich kaufen.