Interview

"Tante Emma skalieren"

18. Mai 2012
von Börsenblatt
Nach den PC und dem Internet steht jetzt die dritte digitale Revolution an: die intelligente Nutzung von Kundendaten. Ein Interview mit Thomas Ramge, Autor des Buches "Data unser".
Gobale Unternehmen wie Amazon oder Apple bauen ihre Geschäftsmodelle auf Kundendaten auf. Ist das der Grund für den Erfolg?
Analytisch getriebene Unternehmen kennen ihre Märke besser, sie kommunizieren persönlicher mit den Kunden. Spätestens in zehn Jahren wird es zum Überlebensfaktor werden, Kundendaten intelligent auszuwerten. Unternehmen ohne diese Fähigkeit werden es schwer haben, sich im Markt zu behaupten.
 
Ist die kleine Buchhandlung ums Eck damit aus dem Rennen?
In Sachen Kundenzentrierung sind die kleinen, persönlichen Händler ja die Vorbilder. Unternehmen muss es gelingen, ein ähnlich gutesVerständnis des Einzelkunden zu gewinnen, wie es beim Gespräch über die Ladentheke möglich ist.
 
„Tante Emma skalieren“, heißt das im Buch.
Tante Emma-Läden waren hochgradig kundenzentrierte Unternehmen. Sie wußten, dass Märkte Gespräche sind. Wer heute Erfolg haben will, muss die Fähigkeit besitzen, auf Wünsche individuell einzugehen. Die immer stärkere Segmentierung von Kundengruppen,  Produkten, Media- und Vertriebskanälen lässt keine andere Wahl. Klassische Werbung ist hier nicht mehr effizient.
 
Über das Gespräch an der Ladentheke hinaus: Wie kann eine Buchhandlung Kundendaten intelligent nutzen?
Jeder Buchhändler kann heute sehr viel schneller, direkter und günstiger mit seinem Kunden dialogisch kommunizieren, etwa über soziale Netzwerke wie Facebook. Social Media bringt nur etwas, wenn es auf die  Kernkompetenz des Händlers einzahlt. Nämlich: Persönlich, nett, kompetent, von Mensch zu Mensch, offline zu beraten. Das muss die Haltung sein, mit der sich ein Buchhändler an Social Media ranwagt. Der Buchhändler kann für seine Veranstaltungen auf Facebook Werbung machen. Ziel ist, dass die Leute in den Laden kommen. Ein Internethändler wird er nichtwerden, der Zug ist abgefahren.
 
Stichwort CRM-Systeme: Viele lassen die Finger davon, da sie als teuer und komplex gelten. Stimmt das noch?
Der Einsatz von CRM-Sytemen ist heute deutlich weniger komplex als noch vor einigen Jahren. Man muss kein SAP-Experte sein und auch kein Großunternehmen, um so ein System zu nutzen. In unserem Buch haben wir das Beispiel eines Messerschleifers, der über ein einfaches CRM-System jeden einzelnen Kunden so gut kennt, dass er weiß, wann ein bestimmtes Messerset wieder zum Schleifen reif sein müsste. Jeder anständige Pizzalieferservice betreibt heute datenbasierte Kundenbindung.
 
Vergrault man nicht die Kunden, wenn man als Datensammler auftritt?
Es kommt darauf an, wie man es macht. Natürlich gelten die Grundsätze der Datentransparenz und der Verhältnismäßigkeit. Das Wichtigste: Ich muss dem Kunden aufzeigen, dass es ihm ebenfalls nützt, wenn ich seineKundendaten habe, zum Beispiel durch passgenaue Vorschläge: Ich habe eine tolle Lesung, und aus deinen letzten Buchkäufen weiß ich, dass dich das Thema interessiert. So wird Marketing zum Service. Wenn der Nutzen stimmt, sind wir bereit, Daten zu teilen.
 
Ein Blick in die Glaskugel: Wo sehen Sie zukünftige Entwicklungen beim datenbasierten Marketing?
Der Wert der Daten erwächst aus ihrer Verknüpfung. Die Kunst des Marketings wird darin bestehen, die Daten aus Verbrauchersegmenten, individuellem Verhalten und Aufenthaltsorten (bzw. Bewegungsmustern) zu hybridisieren.