Gastkommentar

"Bei Suhrkamp geht es nicht nur um einen Rosenkrieg"

14. Dezember 2012
von Börsenblatt
Die Kernfrage der Causa Suhrkamp: Ein Meinungsbeitrag von Detlef Bluhm.

Ein Verlag ist nichts ohne seine Autoren. Das ist zwar eine Binsenweisheit, aber nicht allzu viele Verleger nach dem Zweiten Weltkrieg haben diese schlichte Wahrheit so verinnerlicht und gelebt wie der legendäre Siegfried Unseld. Sein Verlag, der Suhrkamp Verlag, lebte von der persönlichen und oft freundschaftlichen Beziehung des Verlegers zu seinen Autoren.

Ein Grundprinzip dieser Beziehung war die Mischung – nicht Vermischung – von geschäftlichen und privaten Kontakten zwischen Verleger und Autor, die beiden zugute kam: dem Verlag und der Autorenschar. In diesem Sinn wurde Unselds private Villa in Frankfurt konsequent als Ort der Begegnung mit den Autoren genutzt. Übrigens der Begegnung nicht nur mit Autoren, sondern auch mit Literaturkritikern, Buchhändlern und vielen anderen, die im Literatur- und Kulturbetrieb gewichtige Stimmen hatten und noch haben. Niemals ist in jener Zeit irgendjemand auf den Gedanken gekommen, diese verbindende und wechselseitig befruchtende Synthese zwischen kulturellem Austausch und kommerziellen Interessen zu beanstanden. 

Nach Siegfried Unselds Tod und der Übernahme der Geschäftsführung durch seine Witwe Ulla Unseld-Berkéwicz sowie dem Umzug des Verlages nach Berlin wurde diese Tradition der Autorenpflege konsequent weitergeführt. Wieder in einer Privatvilla, wieder mit regelmäßigen Treffen von Autoren, Buchhändlern und sonstigen Protagonisten des deutschen und europäischen Literaturbetriebes.

Erstaunlich ist nun, dass diese Bewahrung und Weiterentwicklung einer langen Tradition plötzlich im juristischen und publizistischen Feuer steht. Fast merkwürdig ist dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es der neuen Geschäftsführung des Verlages allen Unkenrufen zum Trotz gelungen ist, in den letzten Jahren ein sowohl literarisch ambitioniertes als auch ökonomisch erfolgreiches Programm zu verlegen. Man denke hier nur an Uwe Tellkamp, Sibylle Lewitscharoff, Judith Schalansky, Clemens Setz oder auch Don Winslow – oder an neue Programmlinien wie die edition suhrkamp digital und den Verlag der Weltreligionen.

Anlass für die derzeit lautstark geführte Debatte um den Verlag und den in den Medien mitunter fast lustvoll inszenierten Dissens zwischen dem Mehrheitsgesellschafter des Verlages (Ulla Unseld-Berkéwicz) und dem Minderheitsgesellschafter (Hans Barlach) ist ein am 10. Dezember 2012 ergangenes Urteil des Berliner Landgerichts, das zu einem unerwarteten und nicht nur für den Verlag schockierenden, aber immerhin noch nicht rechtkräftigen Spruch gekommen ist.

Mit diesem Urteil wurde die Geschäftsführung des Verlages für ihre der Tradition des Hauses verbundene Handlungsweise, die ja eine Basis für die ästhetischen und ökonomischen Erfolge des Verlages ist, unerwartet hart abgestraft. Sie habe, so der juristische und inzwischen leider auch weitgehend publizistische Tenor, bei der Vermietung eines Teils der Privatvilla der Verlegerin an den Verlag private und unternehmerische Interessen miteinander vermischt, dabei die Zustimmung des Minderheitsgesellschafters nicht eingeholt und sei deshalb nicht nur dem Verlag gegenüber schadensersatzpflichtig sondern auch als Geschäftsführung abzuberufen.

Nun sind den Gerichten beim Gesellschaftsrecht, im Unterschied beispielsweise zum Strafrecht, enge Ermessungsspielräume gesetzt. Das Gesellschaftsrecht darf eben nicht zwischen einem Schrotthändler (so ein etwas verunglücktes Beispiel aus der aktuellen Medienberichtserstattung) und einer kulturellen Institution wie dem Suhrkamp-Verlag unterscheiden. Minderheitsgesellschafter genießen einen besonderen Rechtsschutz.

Das klingt auf den ersten Blick plausibel und ist grundsätzlich ja auch allgemein akzeptiert. Aber Suhrkamp ist eben keine Schraubenfabrik, sondern eine Brutstätte des gesellschaftlichen Diskurses, der die Geschichte der Bundesrepublik maßgeblich mitgeprägt hat. Und außerdem ist in diesem besonderen Fall zu bedenken, dass das Gesellschaftsrecht, wie jede andere Rechtssetzung, nie ganz eindeutig sein kann, es muss in jedem Einzelfall sorgfältig neu abgewogen und interpretiert werden. (Sonst bräuchten wir keine Gericht und Anwälte.) Und damit sind wir bei der Kernfrage der aktuellen Causa Suhrkamp angelangt.

Es geht hier eben nicht nur, wie derzeit an vielen Stellen zu lesen ist, um einen Rosenkrieg zwischen dem Mehr- und Minderheitsgesellschafter des Verlages, sondern um eine zukunftsweisende Richtungsentscheidung für das ambitionierte Projekt Suhrkamp. Die jetzige Verlagsleitung handelt programmatisch nach der Maxime des ebenfalls legendären Verlegers Kurt Wolff, der einmal formuliert hat: "Man verlegt entweder Bücher, von denen man meint, die Leute sollen sie lesen, oder Bücher, von denen man meint, die Leute wollen sie lesen."

Gerichte sollten deshalb in diesem gesellschaftsrechtlichen Streit sehr behutsam abwägen zwischen den juristischen Interessen eines Minderheitsgesellschafters und dem legitimen Anliegen der Öffentlichkeit am Erhalt einer bewährten Institution, die nicht nur mit der kulturellen und politischen Geschichte der Bundesrepublik Deutschlands eng und prägend verbunden war, sondern auch zukünftig in der Lage sein sollte, gesellschaftliche und ästhetische Debatten anzustoßen und dazu ihren Beitrag zu leisten.