Interview mit ALMA-Preisträgerin Isol

"Ich war mit den ersten Antworten nie zufrieden"

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Marisol Misenta (41), kurz Isol, hat gestern in Stockholm den mit rund 600.000 Euro dotierten Astrid Lindgren Memorial Award (ALMA) erhalten. boersenblatt.net hat mit ihr über den Preis, ihre Kreativität und Perspektivwechsel gesprochen.

Verändert dieser weltweit höchstdotierte Kinderbuchpreis Ihr Leben?
Zunächst einmal führt die Auszeichnung, über die ich mich sehr freue, dazu, dass meine Arbeit bekannter wird. Aber ich glaube nicht, dass sie meine Arbeitsweise oder meinen Stil verändern wird. Ich fühle mich vollkommen frei, das zu tun, was ich als Künstlerin will. Und jetzt habe ich dank des Preises mehr Zeit zum Träumen.

Neben ihren zehn eigenen Titeln haben sie ebenso viele von anderen Autoren illustriert. Warum thematisieren viele davon den Perspektivenwechsel von den Erwachsenen zu den Kindern?
Als Kind habe ich mich oft geärgert, weil viele Dinge unerklärlich waren. Mein Großvater erzählt noch heute, wie wütend und nimmermüde ich immer wieder Fragen gestellt habe: Ich war mit den ersten Antworten nie zufrieden. Ich glaube, das ist ein Bestandteil von Kreativität - so kann man Dinge auf neue Weise sehen. Deshalb liebe ich den Blickwinkel von Kindern. Sie haben noch keine Vorurteile. Ihre Empfindungen sind authentisch und sie trauen sich, alles zu fragen und zu sagen. Das ist auch für Künstler wichtig: die Freiheit, die Welt neu zu erfinden. Es ist ja dieselbe Welt – für Kinder und Erwachsene. Aber wenn man schöpferisch sein will, muss man bereit sein, Neues zu lernen und den eigenen Standpunkt zu verändern. Beides hängt eng miteinander zusammen.

Bekommen Sie mit, wie Kinder und wie Erwachsene auf Ihre Bücher reagieren?
Erwachsene amüsieren sich oft über Doppeldeutigkeiten oder rätseln über bestimmte Wendungen in meinen Geschichten. Kinder haben hingegen sehr viel mehr Empathie. Sie versetzen sich schneller und aufrichtig in die verschiedenen Figuren. Sie beginnen bei den Details, beschäftigen sich mit unscheinbaren Elementen in den Zeichnungen und im Plot, um auf diese Weise das Ganze zu entdecken. Erwachsene wollen möglichst rasch alles überblicken.

Wann kommen Ihnen die besten Ideen für Ihre Bücher?
Beim Zeichnen. Ich habe immer Papier und Stift dabei. Dadurch ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass ich Besonderheiten wahrnehme. Dabei hinterfrage ich als Illustratorin und Erzählerin, was ich sehe: Ich überlege mir, wer und warum von den Dingen berichten könnte, die mir widerfahren. Mein Buch "Ein Entlein kann so nützlich sein" (Jungbrunnen) ist so entstanden: Ein Satz des Kindes wechselte mit einem Satz der Ente ab. Ein und dasselbe Ereignis kann je nach Betrachtung vollkommen verschieden sein. Das brachte mich zum Lachen, also erzählte ich die Geschichte weiter.

Ihr einjähriger Sohn ...
Ein Jahr und fünf Monate ...

Wird er Ihre Kreativität verändern?
Mein Blick auf die Welt und meine Arbeit ändern sich ständig. Jetzt bin ich Mutter und nach wie vor Künstlerin. Aber es stimmt: Mein nächstes Buch handelt davon, ein Neugeborenes zu sein. Ich interessiere mich für die Sichtweise der Kinder und jetzt für die eines Babys. Ein eigenes Kind zu haben, das mir so nahe ist, das ist schon sehr anders. Ich merke erst jetzt, wie anstrengend es ist, eine Mutter zu sein ... Vielleicht wird sich das Mutterbild in meinen Büchern bald verändern.