AWS-Jahrestagung in Münster

Geschäftsmodelle für die digitale Welt

6. Mai 2014
von Torsten Casimir
Die Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Sortiments- und Fachbuchhandlungen (AWS) hält seit Montag ihre Jahrestagung in Münster ab − noch bis zum 7. Mai tauschen sich die Teilnehmer über die Entwicklung ihrer Geschäfte aus.
Unter dem wohligen Dreiklang "Exzellent, emotional, ertragreich" steht die Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Sortiments- und Fachbuchhandlungen (AWS), die vom 5. bis 7. Mai stattfindet. 124 Teilnehmer sind gekommen, darunter immerhin 39 Buchhändlerinnen und Buchhändler aus den derzeit 49 Mitgliedsunternehmen der AWS; dass also die Zahl der Gäste aus Verlagen, Bibliotheken und Dienstleistungsunternehmen deutlich überwiegt, hat Tradition bei den AWS-Treffen.

Im Jahr 2002 tagte man zuletzt in Münster, damals wäre ein Vortragstitel wie "In der digitalen Welt versagen alte Geschäftsmodelle" nicht einmal am Horizont erkennbar gewesen. Heute beschreibt er die geteilte Erfahrung aller Teilnehmer. Georg Giersberg, Wirtschaftsredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der diesen Vortrag hielt, schlug gleich einen Zuversicht signalisierenden Ton an. Der Journalist beschrieb eine anspruchsvolle Agenda von Veränderungsaufgaben, gab sich aber sicher, dass diese zu bewältigen seien.

Neues Denken sei gefragt, so Giersberg, ein Denken, das umschalte von Angebots- auf Nachfrageorientierung. Es reiche nicht aus, das, was ein Unternehmen bisher in der analogen Welt getan habe, nun in die digitale Zeit einfach zu verlängern. Sein Beispiel kam aus dem Haufe-Verlag: Dort sei über viele Jahre erfolgreich der Praxis-Ratgeber "Arbeitszeugnis" erschienen, und heute gebe es das Buch nun nicht einfach als E-Book, sondern auf die aktuellen Bedürfnisse zugeschnitten als "eine Software, durch die sich ein Personaler klickt, und am Ende kommt ein gerichtsfestes Arbeitszeugnis heraus".

Viele Geschäftsmodelle, die in der analogen Welt funktioniert hätten, werden sich Giersbergs Annahmen zufolge in ähnlich durchgreifender Weise ändern. So stelle sich heute bereits "neben die Wirtschaft des Besitzens eine Wirtschaft des Teilens", die jedem ein völlig anderes Denken abverlange, der Geschäft betreiben wollte. Eine These des FAZ-Mannes: "Führende Unternehmen der alten Welt sind nur sehr selten auch führende Unternehmen der neuen Welt." So etwa habe sich kein Kutschenhersteller je als Autobauer etablieren können. Giersberg bezeichnete die digitalen Entwicklungen als "Umbruchzeit", für die allerdings kaum vorherzusagen sei, in welcher Geschwindigkeit das Neue sich etablieren wird. Erfolgskritisch sei es, den richtigen Zeitpunkt für Umstellungen zu erwischen.

Der Buchhandel als Schrittmacher

Ein anderer Schwerpunkt der AWS-Tagung ist das öffentliche Bild, das die Buchbranche gegenwärtig abgibt: Ist das Image auf dem Tiefpunkt angelangt? Eine Podiumsdiskussion, die sich dieser Frage widmete, kam am Dienstag überwiegend zu gelassenen Befunden. Der Buchhandel sei Vorbild und Schrittmacher für viele Einzelhandelsbereiche, was die Bewältigung des digitalen Wandels anlangt, sagte etwa der Osiander-Chef und Börsenvereins-Vorsteher Heinrich Riethmüller. Zunehmend kämen auch Kommunen zu der Einsicht, dass Buchhandel vor Ort die Attraktivität von Innenstädten erheblich steigere − und dass deshalb (siehe etwa Hamburg) kreativer und innovativer Buchhandel förderungswürdig sei. Auch die Bundesregierung plane, entsprechende Programme aufzulegen.

Thomas Wich von der Fachbuchhandlung Sack gab jedoch zu bedenken, dass der Qualität buchhändlerischen Arbeitens eine ärgerlich negative öffentliche Wahrnehmung des Buchhändlers entgegenstehe. Das Podium war sich weitgehend einig darin, dass eine Verbesserung des öffentlichen Bildes nur vom Buchhandel selbst bewirkt werden könne − indem der von seinen Erfolgen, seiner Kundennähe, seinen zukunftsgerichteten Konzepten glaubwürdig erzähle. Den Job müsse schon, so fasste der Moderator Holger Ehling zusammen, jedes Unternehmen für sich erledigen. Erst die positiv überzeugenden Erzählungen vieler Einzelner veränderten das Image einer ganzen Branche. Dass dieses Image im Fall der Buchbranche gar so schlecht nicht sei (was auf eine gewisse Selbstbildnis-Problematik hindeuten könnte), war eine Nebenerkenntnis der Diskussion, die nicht unerwähnt bleiben soll.

Interessante Verschiebungen bei den Anforderungen an Inhalts-Vermarkter in der Fachinformationen kamen im kollegialen Austausch am Rande immer wieder zur Sprache. Angestoßen hatte das Thema Peter Eichhorn von Elsevier, der über "Herausforderungen und Chancen der Contentvermarktung im Multichannel" sprach. Spezialisierung mit Blick auf den Kunden − das sehen viele Fachmedienhändler als Gebot der Stunde. Ansprechpartner sind längst nicht mehr nur Bibliothekare zum Beispiel, sondern die Endanwender mit ihren je spezifischen Bedürfnissen.

Nie entschied eine wissensbasierte Kundenbeziehung so sehr über Händler-Erfolg wie heute. Tagungsthemen werden der AWS drum sobald nicht ausgehen. Und Teilnehmer, manch Unkenrufen der vergangenen Jahre zum Trotz, offensichtlich auch nicht.