Lesetipp: Der „Spiegel“ zu Besuch bei Amazon

"Ohne unseren Kindle gäbe es das E-Book-Geschäft gar nicht"

30. Juni 2014
von Börsenblatt
„Furchtbare Überraschungen“ betitelt das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ seinen Bericht über einen Besuch bei Ralf Kleber, Geschäftsführer von Amazon in Deutschland. Die Standardantwort Klebers lautet „kein Kommentar“. Das Magazin beleuchtet in einer Reportage die Ausmaße und Hintergründe des Konditionenstreits – und übt auch Kritik an Verlagen und dem Buchhandel.

Die Spiegel-Autorinnen Isabell Hülsen und Claudia Voigt haben Amazons Deutschlandchef Ralf Kleber getroffen – und der hat vor allem wiederholt, was Jeff Bezos in den letzten Monaten offiziell bereits verlauten ließ: Den Verlagen begegne in Form von Amazon gerade die Zukunft, Verhandlungen gehörten für den Onlinehändler zum daily business, im Konditionenenstreit um die Rabatte bei E-Books würden Verlagsprodukte (etwa Bücher der Bonnier-Verlage) nicht vollständig ausgelistet, sondern aufgrund der „Gesamtwirtschaftlichkeit" des Kunden erst bei Bestellung beim Verlag eingekauft. Bisher hatte Amazon die Titel fürs eigene Lager eingekauft. Diese Politik führt zu einer verzögerten Auslieferung von Print-Titeln der Bonnier-Gruppe, die häufig bis zehn Tage unterwegs sind.

Die Forderungen Amazons gehen weiter als bisher bekannt

Der "Spiegel" deckt zudem auf, dass Amazon auch von weiteren Verlagen E-Book-Konditionen bis zu 50 Prozent Rabatt verlangt: Bastei Lübbe, dtv und die Ganske-Gruppe, zu der unter anderem der Verlag Hoffmann und Campe gehört, sollen seit Herbst mit Amazon "ohne Aussicht auf Annäherung" verhandeln. Noch würden die Bücher dieser Verlage normal ausgeliefert – die Verlage weigern sich, auf Amazon zuzugehen.

Ein Exempel statuiert Amazon derzeit an Hachette Books (USA) und in Europa an Bonnier – weil Bonnier bedeutend, aber noch klein genug ist, damit sich der Schaden für den Onlineriesen selbst in Grenzen hält.

Nach Recherchen des "Spiegel" will Amazon 50 Prozent Rabatt beim Verkauf von E-Books in ein bis zwei Jahren zum internationalen Standard machen – schließlich gäbe es ohne die Investitionen Amazons in den Kindle heute gar kein E-Book-Geschäft, argumentiert Kleber.

Wo es bei Amazon knirscht

Amazon, machen die Spiegel-Autorinnen klar, steht selbst gewaltig unter Druck:

seit Januar sei die Aktie um 17 Prozent gefallenhohe Investitonen, u.a. in das Fire-Phone, fressen die Margen Amazons aufAb Januar 2015 schließt die EU Steuerschlupflöcher für Onlinehändler: Dann werden Steuern in den Ländern fällig, in denen Kunden bestellt haben – gerade im Fall von E-Books kommen auf Amazon darum Millionenbeträge zu. Bisher vermeidet das Unternehmen mit Sitz in Luxemburg viele Steuern. Ein großes Problem, denn bei gigantischem Umsatz schafft es der Konzern auch bisher kaum aus den roten Zahlen – der Druck der Aktionäre nimmt weiter zu.Bücher – die laut „"Spiegel" heute allenfalls noch zehn Prozent Anteil am Amazon-Umsatz haben, seien für den Onlinehändler nach wie vor das margenstärkste Produkt – gerade im wachsenden Digitalmarkt will Amazon darum die Konditionen diktieren und die Wertschöpfungskette möglichst weit in die eigenen Hände bekommen – wie auch die Berichte in „The Bookseller" zeigen (s.u.)

Amazon fordert angeblich von britischen Verlagen, dass

diese ihre Titel nirgendwo günstiger als bei Amazon anbieten (was kartellrechtlich unzulässig wäre, wie bereits Konkurrent Apple im Agency-Streit erfahren musste),sie höhere Rabatte auf E-Books gewähren. Nicht sofort verfügbare Printtitel will Amazon in Eigenregie als Print on demand-Ausgaben drucken und versenden.Außerdem sollen Verlage für eine bessere Platzierung in den Suchergebnissen auf der Amazon-Seite zahlen (was heute bereits Standard ist); damit verabschiedet sich der Händler immer weiter von der Parole - die Interessen und der Komfort des Kunden stünden an erster Stelle.

Kritik an der Buchindustrie

Der „Spiegel" kritisiert auch Verlage und den Buchhandel: „Sehenden Auges" habe sich die Branche in eine Abhängigkeit von Amazon begeben und versäumt, eigene, tragfähige digitale Erlösmodelle aufzubauen. Stattdessen habe man – auch aus Angst vor der Digitalisierung – einem Unternehmen die Kontrolle überlassen, dass in Deutschland heute 50 Prozent der E-Book-Verkäufe abwickelt und seine Marktmacht rigoros ausnutze. „Der Hochmut von damals und die fehlende Weitsicht müssen nun teuer bezahlt werden", resümieren die Autorinnen.

Die Weigerung der Buchbranche, dem Internethändler nun auch nur einen Jota entgegenzukommen – die Beschwerde des Börsenvereins beim Bundeskartellamt ist ein Ausdruck dafür – sei der Versuch, „Amazons Macht im allerletzten Moment noch einzugrenzen."