KiWi und seine "Rebellen" - eine Titelgeschichte

Die Gesichtszüge des Vertriebsleiters

20. August 2014
von Börsenblatt
Was stimmt einfach nur, und was ist tatsächlich erfunden? Seit jeher stiften die erzählenden Künste Unordnung im Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit. Ein neues, besonders schönes Beispiel.

Nicht immer, das sei vorweggeschickt, sind die Beispiele so schön wie das aktuell zu berichtende. Oft endet das Ringen um Fiktion und Realität in den Niederungen des Rechts. Wir alle erinnern uns noch eines besonders schändlichen Vorgangs Anfang 1988. Da sollte die Hamburger Justiz über eine Klage gegen den „konkret"-Karikaturisten Rainer Hachfeld entscheiden, der den früheren bayerischen Ministerpräsidenten als kopulierendes Schweinchen gezeichnet hatte. Dem Gericht ging die Erkennbarkeit des echten Politikers bei einem frei ausgedachten Geschlechtsverkehr zu weit und allemal über Satirefreiheit hinaus. Dem Unbehagen des Amtsrichters beim Betrachten des Werkes verdanken wir den unvergesslichen Satz in der Urteilsbegründung, den die „Zeit" damals zitierte: „Das aufreitende Schwein trägt anstelle eines Schweinsgesichts die Gesichtszüge des Nebenklägers." Und der war eben keine Erfindung, sondern der leibhaftige Franz Josef Strauß. Schlimm, so was.

Auch Romane haben manchmal Streitigkeiten ausgelöst, die wegen der Erkennbarkeit von NebenklägerInnen in den Figuren der Geschichte nicht gut für Autoren und Verlage ausgingen. Aber wenigstens beginnen deutliche Bücher, anders als überdeutliche Zeichnungen, mit der Unschuldsbehauptung. Die lautet etwa wie folgt: „Wer glaubt, sich selbst oder einen alten Bekannten in diesem Buch wiederzuerkennen, irrt sich. Alle Figuren in diesem Buch sind erfunden. Alles ist nur ausgedacht."

So steht es vorweg auch in dem Roman „Rebellen" des Stuttgarter Schriftstellers Wolfgang Schorlau. Die Taschenbuchausgabe ist soeben bei KiWi erschienen. Ein Schwarz-Weiß-Foto aus dem Jahr 1977 ziert ihr Cover. Es zeigt einen lässigen jungen Mann mit sehr schwarzem Haar und unverwechselbarem Schnäuzer. Irgendwie eine revolutionäre, Che-Guevara-hafte Figur. Mit anderen Worten: Der Coverboy trägt die Gesichtszüge des KiWi-Vertriebsleiters.

Eine Recherche in Köln bringt Gewissheit: Nicht nur das Gesicht, der gesamte abgebildete Körper gehört Reinhold Joppich. Der Verlag hat seinem zum Jahresende in Pension gehenden Chefverkäufer mit der Titelgestaltung schon eine erste Freude machen wollen. Was wohl perfekt gelungen ist! Nicht auszuschließen nebenbei, dass auch im Buchhandel das ein oder andere Wiedererkennen zur besonders herzlichen Empfehlung dieses Titels führt. Der Roman handelt übrigens von der Revolution und von der Liebe. Trotzdem habe die Handlung, versichert Joppich, der mit Wolfgang Schorlau seit Jahrzehnten befreundet ist, mit seinem, Joppichs, Leben (fast) nichts zu tun.

Außer auf Seite 212. Da betritt ein Lehrling vom Herder-Verlag mit dem Vornamen Reinhold die Szene und begehrt Aufnahme in eine revolutionäre Zelle. „Das bin ich." Reinholds Auftritt ist kurz, wild und überzeugend, er zeigt den bereits damals voll entwickelten freiheitlichen Sinn des Azubis.

Was also stimmt einfach nur, und was ist tatsächlich erfunden? Der Satz „Alles ist nur ausgedacht" ist jedenfalls nur ausgedacht. (Das erst macht ihn ja ebenso interessant wie wahr!) Freunde des gleich vorne Wiederzuerkennenden werden sich mit dem spärlichen Hinweis auf Seite 212 vielleicht nicht abspeisen lassen wollen. Ob sie mehr entdecken können als den Herder-Lehrling von einst? Das wiederum bleibt eine Frage höchstpersönlicher Lektüre. Antworten finde ein jeder und eine jede bitte ganz für sich…