Uwe Rosenfeld fordert mehr Kooperation in der Branche

"Die Datenlage ist verheerend"

3. März 2015
von Börsenblatt
Der im Herbst bei S. Fischer aus der Geschäftsführung ausscheidende Marketing- und Vertriebsprofi will sich dann für die Fischer-Verlage und die gesamte Verlagsgruppe strategischen Aufgaben widmen. Aus seiner Sicht liegt ein Kernproblem der Branche darin, dass sie zu wenig darüber weiß, was mit ihren Büchern geschieht. Im Interview erläutert Uwe Rosenfeld, warum das ein Desaster ist.

Sie scheiden aus der Geschäftsführung der S. Fischer Verlage aus und übergeben im Herbst an Sabine Bischoff. Was hat Sie dazu bewogen?
Ich bin seit 1986 im Unternehmen tätig, zunächst im Außendienst, seit 2000 im Hause. Mein Hauptbeweggrund, die Geschäftsführung abzugeben, ist, dass ich in meinen letzten Berufsjahren weiter weg vom rein Operativen arbeiten möchte, in dem ich derzeit noch tief involviert bin. 

In der Regel gibt man Macht nicht freiwillig aus der Hand.
Mir ging es in meiner Geschäftsführerposition nie um die Macht um der Macht willen. Was den Job für mich attraktiv gemacht hat, waren die Gestaltungsspielräume. Jetzt möchte ich den Kopf freibekommen für strategische Themen, die die Branche und die Verlagsgruppe interessieren. Meine künftige Aufgabe soll auch als Signal verstanden werden, dass wir bei Holtzbrinck an das Buch und an den Buchhandel glauben. Ich werde mein Büro weiterhin im Verlag haben. An wichtigen Sitzungen der Geschäftsleitung, in denen es um strategische Fragen geht, werde ich beratend teilnehmen. 

Welche strategischen Themen wollen Sie angehen?
In erster Linie geht es um die Zusammenarbeit von Verlagen und Handel, darüber hinaus aber um Kooperationen der Marktteilnehmer überhaupt. Da haben wir in der Branche noch viel Luft nach oben. Es geht um Transparenz und Kooperation als Grundhaltung. Nur so können wir die Probleme unserer Branche nachhaltig lösen. Dazu kommen eine Reihe weiterer Themen: DRM; die Möglichkeiten der Buy-local-Bewegung – sehr interessant für uns Verlage. Und natürlich die Frage, wie in drei bis fünf Jahren das E-Book-Geschäft aussehen könnte. 

Agieren andere Branchen professioneller?
In mancherlei Hinsicht ja. Zum Beispiel, was den Datenaustausch anlangt. Es kann doch nicht angehen, dass eine Verlagsgruppe wie die unsere sich Daten zusammenklauben muss, um halbwegs in Erfahrung zu bringen, was mit ihren Büchern geschieht: also die Informationen, wer – wo – welche Bücher kauft. In unseren technisch hochentwickelten Warenwirtschaftssystemen eigentlich kein Problem. Die einzigen, die das vermutlich genau wissen, sind die beiden großen Barsortimente KNV und Libri. Wie wichtig dieses Thema ist, dürfte angesichts der Rolle von Amazon inzwischen jedem klar sein. Dieses hochprofessionelle Unternehmen weiß sehr, sehr viel und hat Daten zu seinem Kerngeschäft gemacht.

Die Datenlage der Branche ist noch schwieriger worden, seit zwei Marktforscher versuchen, jeweils exklusive Lieferanten für ihre Panels zu gewinnen.
Das ist verheerend. Dabei hatten wir, auch als nur ein einziger Anbieter am Markt tätig war, immer schon Schwierigkeiten mit der Qualität, vor allem unterhalb der großen Bestseller. Seit Jahren fragen wir uns: Warum zahlen wir so viel Geld für so wenig Genauigkeit? Jetzt haben wir zwei Anbieter, und das ist natürlich ein Desaster. Ein absurder Rückschritt für die Branche.

Woran liegt es, dass die Branche sich nicht besser über Bestände und Abverkäufe austauscht?
Es gibt ja große Marktteilnehmer, die das schon machen. Amazon geht durchaus offen mit seinen Zahlen um – wenn man sie als Verlag bezahlt. Die großen Filialisten zum Teil auch, aber da hakt es noch, sowohl an der Bereitschaft als auch an Möglichkeiten technischer Art. Generell fehlt vor allem der branchenweite Konsens, dass auf dem Feld der Datenanalyse und des datenbasierten Ein- und Verkaufens viel Umsatz verloren geht. Man könnte auch beträchtlich Kosten senken. 

Wer würde wie profitieren?
Der Verlag würde profitieren, indem er zum Beispiel die Abschreibung auf Überbestände reduzieren könnte. Wir könnten viel genauer auf Schnellschüsse und ähnliche Dinge hinweisen, könnten schneller reagieren etwa auf Talkshowauftritte und andere aktuelle Ereignisse. Solche verkaufsfördernden Hinweise müssten jeden Buchhändler interessieren, denn das Lagerrisiko für ihn würde viel geringer. 

Noch einmal: Warum passiert das nicht?
Es gibt eine unglaubliche Scheu in unserer Branche, offen zu sein und die Preisgabe von exklusivem Wissen auch als Vorteil und Chance zu verstehen. Das Potenzial an Arbeits- und Kostenersparnis und der Attraktivitätsgewinn für den Handel werden bisher nicht – oder jedenfalls viel zu selten – erkannt.

Wie wollen Sie denn in den nächsten Jahren mit dem Thema vorankommen?
Durch vertrauensvolle Gespräche mit den Kollegen. Immerhin kennen wir uns alle seit oft vielen Jahren. Da gibt es eine Vertrauensbasis. In freundschaftlicher Abstimmung mit den Geschäftsführerkollegen der anderen Holtzbrinck-Verlage und in engster Zusammenarbeit mit Sandra Dittert und Christian Döttinger, die das Deutschland-Geschäft der Holtzbrinck-Buchverlage verantworten, werden wir viel bewegen können. 

Welche strategischen Themen wollen Sie noch angehen?
Zum Beispiel die Frage der Vielfalt der Medienangebote in den Buchhandlungen. Printbuch, E-Book, Hörbuch: Wie spielt das zusammen? Wie können diese Produkte im Handel sinnvoll an den Kunden gebracht werden? Ich wäre froh, wenn wir auch mehr, als wir alle bisher wissen, über den Kunden selbst in Erfahrung bringen könnten. 

Wenn man den Kunden genau zu kennen glaubt und sich nach ihm richtet, wird jede Überraschung, die man sich erlaubt, zum unvernünftigen Risiko. Sehen Sie darin auch Gefahren für eine hochwertige literarische Produktion?
Eine Datensammelwut um ihrer selbst willen halte ich für Unsinn. Irgendwann ist das dann nicht mehr zielführend. Man muss sich vorher klar darüber werden, welche Daten einen interessieren und wozu man sie nutzen will.

Was ich meine, ist die vermeintlich bedarfsgerechte Produktion. Mit anderen Worten: Soll Datensammeln auch fürs Programmmachen hilfreich werden?
Das ist so eine Journalistenfrage. Schirrmacher hat mal in einer Fernsehtalkshow behauptet, Amazon werde in wenigen Jahren bestimmen, welche Romane die Verlage machen. Auf so eine schräge Idee würde hier bei Fischer niemand kommen. Ihr liegt ein völlig falsches Bild davon zugrunde, was ein Autor ist und wie ein Roman zustande kommt. In unserem Gefüge steht ganz oben der Autor, dann kommt das Programm, dann eine Weile gar nichts, schließlich die Dienstleistungsabteilungen. Es ist eine absurde Vorstellung, Marktforschung zu betreiben, um dann bei einem Autor ein maßgeschneidertes Buch zu bestellen. 

Die Idee von einem marketing-getriebenen Verlag, über die vor langer Zeit auch bei S. Fischer diskutiert wurde, ist also durch?
Das wurde ja vor mehr als einem Jahrzehnt nicht nur bei uns diskutiert, sondern bei vielen Verlagen. Vergessen Sie’s! Marketing ist ohne Frage wichtig, aber: Das Interessante entsteht, wo Sie Ihren Autoren vertrauen. Ein Roger Willemsen überrascht jedes Mal mit einer Idee, die es bisher nicht gab. Ein Buch über den Deutschen Bundestag – wer braucht denn so was? Dann macht er es, und es wird der größte Bestseller, den Willemsen bisher geschrieben hat. Ein Marktforschungsinstitut hätte uns „Das Hohe Haus“ bestimmt nicht vorgeschlagen. 

Eine der Zukunftsaufgaben im Handel ist es, die inhaltlichen Serviceleistungen für den Kunden immer weiter zu verbessern. Wie können Verlage da helfen?
Ein Riesenthema. Wir haben ja Zeiten hinter uns, in denen insbesondere ein Teil der großen Händler die inhaltliche Beratung zurückgefahren hatte. Aber dann merkten sie, dass das der falsche Weg war und sie wieder aufrüsten müssen. Dabei können wir in den Marketing- und Vertriebsabteilungen der Verlage gut behilflich sein. 

In einer Verlagsgruppe wie Ihrer, die international agiert, kann man Erfahrungen aus anderen Märkten einbeziehen.
Das haben wir auch schon mit dem Buchhandel gemacht, indem wir Reisen unternommen haben nach London, nach New York und gemeinsam geschaut haben, was dort passiert. Man stößt jenseits des eigenen Tellerrands auf Entwicklungen, die dem heimischen Markt noch bevorstehen. Ich bin mir sicher, dass der Ausbau der Kinderbuchabteilungen in den stationären Sortimenten in Deutschland auch dadurch beflügelt worden ist, dass unsere Buchhändler diesen Trend in England und in New York gesehen haben. 

Es gab auch den Versuch, die Entwicklung des E-Book-Marktes aufgrund der Besichtigung angelsächsischer Märkte vorherzusagen. Ging daneben, oder?
Ich wurde vor einigen Jahren gefragt: Wie prognostizierst du den Anteil des E-Book-Marktes für das Jahr 2013? Damals standen hohe Prozentzahlen im Raum – bis zu einem Drittel. Ich war hinsichtlich einer solchen eher steilen, schnellen Entwicklung immer skeptisch. Heute sehen wir, dass alles sehr viel langsamer und flacher verläuft. Unser Umgang bei S. Fischer mit dem Thema ist deshalb über die Jahre eher ruhig, beobachtend – und nicht nervös und hektisch. 

Halten Sie Ihre aktuellen Annahmen für besser belastbar?
Ja. Man hat heute schon festeren Boden unter den Füßen. Man weiß, wie der E-Book-Markt in der Hochliteratur zu veranschlagen ist. Man weiß, dass es bei Bestsellern überproportionale E-Book-Verkäufe gibt. Man kennt in etwa die Anteile der Genres. Von diesen wachsenden Kenntnissen kann auch wiederum der Buchhandel profitieren. 

Glauben Sie, dass wir beim E-Book jetzt eine Plateaubildung sehen, die für ein paar Jahre stabil bleibt?
In den nächsten drei, vier Jahre kann man sich meines Erachtens darauf einrichten. Steigerung, aber in Maßen. Mit besonderen Einflüssen, Technologieschüben zum Beispiel, müssen wir immer rechnen. Interessant wird es auch, sobald mehr Neuerungen aus den Verlagen selbst kommen – seien es weitere E-only-Programme, seien es bestimmte Textsorten fürs E-Book. Neue Player werden auftauchen, vielleicht treffen uns die E-Book-Aktivitäten aus Zeitungsverlagen in Zukunft stärker als jetzt die Amazon-Versuche im Selfpublishing-Bereich. Aber Prognosen sind selbstverständlich schwierig. 

Im stationären Buchhandel hatten wir Flächenrückbau. Viele Unternehmen sind vom Markt verschwunden. Ist die Entwicklung aus Ihrer Sicht gestoppt?
Man muss den Kontext sehen. Dem Rückbau voraus ging eine maßlose Expansion der großen Händler, die zu zahlreichen Geschäftsaufgaben kleinerer Buchhandlungen führte. Durch die ökonomische Realität richten sich die Großen jetzt wieder maßvoller ein. Kleinere und mittlere Buchhandlungen werden, wenn sie guten Service bieten, davon profitieren. Deren Chancen stehen heute wieder besser, da bin ich ganz sicher. Es gibt ja schon eine Vielzahl von Neugründungen.

Ein viel diskutiertes Thema ist die Kommunikation vom Verlag hin zum Handel. Was will man überhaupt erreichen? Und mit welchen Mitteln?
Das sind komplexe Fragen. Zentral ist es, die Buchprojekte auf den entscheidenden Punkt zu bringen. Letztlich geht es ums Erzählen, ums Funkenschlagen. Das muss uns selbst, dann die Buchhändler und schließlich die Leser erreichen. Eine Anzeigenkampagne ist dann leicht gemacht, wenn ich weiß, was ich erzählen will. 

Viel Geld wird im manchen Häusern heute für Online-Kampagnen ausgegeben. Stimmt mein Eindruck, dass Ernüchterung einsetzt über die Effekte?
Ich habe Kampagnen gesehen, die mehrere hunderttausend Euro gekostet und auch Preise gewonnen haben – aber der Effekt auf den Buchverkauf ging gegen null. Je enger umrissen die Zielgruppe ist, desto besser wirken Online-Kampagnen. Aber je diffuser die Zielgruppe, desto schwächer die Wirkung. Gute Geschichten kommen meist dann zustande, wenn Autor, Lektorat, Herstellung, Marketing, Vertrieb, Presseabteilung und der Handel eng zusammenarbeiten. Klaus-Peter Wolf ist ein Paradebeispiel dafür – eben auch, weil dieser Autor im Buchhandel selbst so präsent ist.